Das Fahrrecht wurde ersessen - beinhaltet es auch ein Gehrecht?
Seit über 45 Jahren gelangt mein Onkel, der in einer Gemeinde in der Steiermark lebt, über einen Weg, der sich auf der Liegenschaft der Nachbarn befindet, zu seinem Haus. Immer ist er mit einem Fahrzeug gefahren und nie hat es jemanden gestört. Nun, vorletzten Samstag, haben ihn seine Nachbarn aufgehalten, als er zu Fuß auf diesem Weg zu seinem Haus unterwegs war. Die Nachbarn meinten, dass er auf diesem Weg nur fahren, aber nicht gehen darf. Das Argument war, dass er das Gehrecht nicht ersessen hätte. Kann das tatsächlich stimmen, dass mein Onkel nur das Fahrrecht, nicht aber das Gehrecht ersessen hat? Darf er tatsächlich nicht über den Weg gehen, sondern darf nur über diesen fahren? Ob er schon früher einmal über den Weg gegangen ist, weiß mein Onkel nicht mehr.
Nachdem Ihr Onkel seit über 45 Jahren über den Weg, der sich auf der Liegenschaft seiner Nachbarn befindet, zu seinem Haus – ohne Einwände der Nachbarn – mit einem Fahrzeug fährt, hat er das Fahrrecht ersessen. Zu beachten ist hierbei, dass laut Rechtsprechung und Lehre die Grunddienstbarkeit des Fahrwegs als umfassendste Wegservitut (§ 477 Z. 1 ABGB) im gleichen Umfang auch das Gehrecht beinhaltet.
Daher ist in dem von Ihrem Onkel ersessenen Fahrrecht über den gegenständlichen Weg auch das Gehrecht inkludiert. Laut Obersten Gerichtshof kommt es auf den Umstand, ob jemand, der ein Fahrrecht ersessen hat, jemals über den Weg gegangen ist, nicht an. Es ist somit nicht von Relevanz, ob Ihr Onkel schon früher über den Weg gegangen ist oder nicht.
Ihr Onkel hat somit das Recht über den Weg, der sich auf der Liegenschaft seiner Nachbarn befindet, sowohl zu fahren als auch zu gehen, um zu seinem Haus zu gelangen.
Olivia Eliasz, selbstständige Rechtsanwältin, Northcote.Recht