Wien: Umwidmungen auf Wunsch?

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"Die Presse" dokumentierte mehrere Fälle, in denen sich die Flächenwidmung offenbar nach den zu errichtenden Gebäuden richtet - und nicht umgekehrt. Denkmalschützer sprechen von "nachträglicher Legalisierung".

Was nicht passt, wird passend gemacht. So lautet der Titel einer im deutschen Ruhrgebiet spielenden Filmkomödie, die den Alltag von Arbeitern auf dem Bau beschreibt. Auf das Wesentliche reduziert scheint er jedoch auch für so manche Tätigkeit der Wiener MA21 stehen zu können. Die Abteilung ist Hüterin des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans der Hauptstadt, eines der wichtigsten und sensibelsten Instrumente der Stadtplanung.

Mehrere von der „Presse“ dokumentierte Fälle zeigen, dass so manches bestehende Gebäude in Wien weder der Widmung, noch dem ihm im Plan zugewiesenen Bauplatz entspricht, also streng genommen am falschen Ort steht. In zwei Verfahren versucht die MA21 derzeit, den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan bereits bestehenden oder geplanten Gebäuden anzupassen. Davon betroffen sind Gebiete in Alsergrund und Hietzing. Hinter den Kulissen brodelt bereits der Ärger. Anrainer fühlen sich übergangen, Denkmalschützer sprechen von „nachträglichen Legalisierungen“ sowie Widmung nach Wunsch, und sogar in den Bauausschüssen der Bezirksparlamente kam es zu Streit. Nur der Magistrat bewahrt (noch) die Ruhe: Die (ob ihrer Komplexität nur schwer durchschaubaren) Vorgänge, heißt es, seien ganz normales Prozedere.

100 statt 70 Prozent verbaut

Das Epizentrum des aktuellen Planungsbebens befindet sich mitten in Hietzing, zwischen Maxingstraße und dem ORF-Zentrum, einer städtebaulichen Schutzzone rund um die historische Villa Schratt, in der auch von den Architekten Roland Rainer und Carl Auböck gestaltete Anwesen stehen. Streitobjekte: Die bestehende Neubauvilla eines prominenten Agenturbesitzers sowie eine geplante Wohnanlage, die eine Firma des Grazer Unternehmers Hans Roth errichten will. Und tatsächlich: Ein Blick in den Plan der MA21 zeigt, dass die Villa nicht auf dem ausgewiesenen Bauplatz steht, die Wohnanlage in der Höhe, in der sie geplant ist, ebenfalls nicht errichtet werden könnte. Die neue Flächenwidmung soll beide Makel mit einem Schlag beheben.

In Alsergrund zeigt sich ein ähnliches Bild. Im Grätzel nördlich des Schottenrings steht ein Bankgebäude. Laut gültigem Bebauungsplan hätten eigentlich nur 70 Prozent des Grundstücks verbaut werden dürfen, 100 Prozent sind es geworden. Und die 1,5 Mio. Euro teure Gärtnerunterkunft der Stadtgärten im Beserlpark am Schlickplatz steht ebenfalls nicht auf Bauland. Für beide Gebäude sollen nun entsprechende Widmungen erfolgen. Alles nur Zufall?

„Wir hatten echtes Glück, mit Widmung auf Zuruf hat das überhaupt nichts zu tun“, sagt Architekt Christoph Huber, der für die Unternehmerfamilie Roth die Luxuswohnungen in Hietzing plant. Die MA21 überarbeitet in der Region nämlich von sich aus den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan. Das ist alle paar Jahre so üblich, schließlich verändern sich Städte permanent. „Diesem Verfahren haben wir uns angeschlossen und unsere Vorschläge eingebracht“, so Huber.

Dabei könnte zumindest die Optik besser sein. Der Vorbesitzer des Grundstücks, auf dem noch eine abgewohnte, von Carl Auböck entworfene Villa steht, wollte dort ebenfalls bauen. Allein: Er erhielt keine Genehmigung dafür. Architekt Huber hingegen sagt heute, dass der Magistrat nun lediglich gleiches Recht für alle schaffe. Widmung auf Zuruf? „Nein.“

Anwohner sehen das anders. Der Maler Georg Thun spricht in seiner schriftlichen Einwendung an die MA21 wörtlich von einer „Gefälligkeitswidmung“. Denn selbst der Magistrat gibt in den Erläuterungen zum Widmungsvorhaben zu, dass es bei vergangenen Planungen immer wieder „Probleme“ mit der Höhe der Dächer gegeben habe. „Nun erhöht man einfach von sechs auf 10,5 Meter und alles ist gut“, ätzt Thun im Gespräch mit der „Presse“.

Sondergenehmigung für alles?

Der Verein Initiative Denkmalschutz geht sogar noch einen Schritt weiter. In einem Schreiben an den Magistrat ist von „nachträglichen Legalisierungen“ der Prominentenvilla in Hietzing sowie des Bankbaus in Alsergrund zu lesen. Und selbst die nachträgliche Bauplatzwidmung des Gärtnergebäudes am Schlickplatz sei symptomatisch. „Lästige Stellungnahmen von Bürgern werden bei nachträglichen Widmungen angeblicher Provisorien einfach vermieden“, glaubt Vereinsvorstand Markus Landerer.

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Für alle genannten Bauten existieren nämlich rechtsgültige Baubewilligungen der Baupolizei. Und das, obwohl ein Blick in den Widmungsplan eher das Gegenteil vermuten ließe. Trotzdem gibt es schlüssige Erklärungen dafür. Recherchen bei MA37 (Baupolizei) und MA21 ergaben, dass die Hietzinger Prominentenvilla wegen einer im Jahr 2000 erteilten Sondergenehmigung (§69 Wiener Bauordnung) woanders stehen darf, als vorgesehen. Die Alsergrunder Bank behalf sich damit, das Dach des Hauses, das 100 Prozent des Grundstücks überspannt, als „Bau vorübergehenden Bestands“ (§71 Bauordnung) einzureichen. Zusätzlich wurde nach Auskunft der MA37 ebenfalls eine Sondergenehmigung nach §69 erteilt.

Und trotzdem können die beiden Dienststellen des Magistrats (politisch verantwortlich sind Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou und Wohnbaustadtrat Michael Ludwig) nicht alle Kritikpunkte entkräften. Die Frage, warum im Fall der Bank eine aus gutem Grund nur zeitlich begrenzt genehmigte Innenhof-Überdachung nachträglich und per Widmung dauerhaft erlaubt wird (künftig 100 statt nur 70 Prozent Bebauung) blieb unbeantwortet.

Anrainer enttäuscht

Das Thema Sondergenehmigungen nach §69 ist ein eigenes Kapitel. Weil die Zahl der von Beamten gewährten Ausnahmen seinerzeit Überhand nahm (und bei Kritikern als Einfallstor für Korruption galt), wurde die Bestimmung 2009 deutlich verschärft. Was umgekehrt bedeutet, dass nachträgliche Zu- und Umbauten ebenfalls Sondergenehmigungen brauchen. Und zwar nach den nun strengeren Regeln. MA37-Chef Peter Cech: „Ob diese Ausnahmen in den konkreten Fällen heute noch einmal erteilt würden, kann hinterfragt werden.“ Es sei denn, eine nachträgliche Umwidmung macht die Sondergenehmigung überflüssig.

Recherchen ergaben, dass zumindest für die Hietzinger Villa ein Zubau geplant ist. Was er denn mache, wenn er keine entsprechende Widmung erhalte? „Dann baue ich eben nicht“, sagt der Bauherr. Von einer Widmung auf Wunsch will auch er nichts wissen.

Ob der Gemeinderat die vorgeschlagenen Umwidmungen beschließt, ist noch nicht entschieden. Klar jedoch ist, dass so mancher Anrainer von der Politik enttäuscht ist. Insbesondere von den Grünen. Wie die SPÖ arbeite, sagt IG-Althietzing-Sprecher Christoph Bösch, wisse man. „Aber dass nun ausgerechnet die Grünen, die immer von Bürgerbeteiligung reden, die Interessen von uns ignorieren, hat uns doch überrascht.“

Auf einen Blick

Der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan ist das wichtigste Instrument der Wiener Stadtplanung. Er stellt übergeordnete Interessen über Wünsche von Einzelnen, bestimmt, was wie hoch und an welcher Stelle gebaut werden darf.

Bauherren müssen sich an diese Vorgaben halten. Es gab (und gibt) jedoch Ausnahmebestimmungen. Der berüchtigte §69 der Wiener Bauordnung machte vieles möglich, erlaubte „unwesentliche Abweichungen“. So wuchs der Millennium Tower von 140 auf 202 Meter. Weil Kritiker im Paragrafen ein Einfallstor für Korruption vermuteten, wurde er 2009 verschärft.

Gebäude, die nach dem alten §69 errichtet wurden, sind nach dem neuen kaum zu verändern. Es sei denn, man ändert die Widmung. Nachträglich, oder im Voraus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2012)

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