Wohngeschichte

Wien-Leopoldstadt: Nomadensitz im Karmeliterviertel

Barbier
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Seit zwei Jahren lebt Designerin Alexandra Muhm im 4. Stock eines revitalisierten 1900-Altbaus in der Leopoldstadt – adaptiert aus zwei Garçonnièren.

"Wir sind wirklich ins gemachte Nest gezogen“, erzählt Alexandra Muhm, die mit ihrer 16-jährigen Tochter vor zwei Jahren vom Servitenviertel im 9. an den Karmelitermarkt in den 2. Wiener Bezirk siedelte. Die alte Wohnung war zu groß, sie wollte reduzierter und minimalistischer leben. „Ballast abzuwerfen – Mobiliar, Bücher, Kleidung reduzieren – hat etwas Befreiendes“, sagt Muhm. Die Leopoldstadt hatte sich „charmant aufgedrängt; der Grundriss war perfekt für uns.“ So zogen sie nach Monaten intensiven Ausmistens befreit in die neuen 87 m2. Nicht der erste Umzug der Designerin, die beruflich in Sachen Design, Kräutern und Körperarbeit viel unterwegs ist.

Schauraum Wohnung

Von Anfang an war die neue Wohnung Schauraum für Prototypen des Labels für Kleinmöbel, „das ich damals mit Patrick Timm gegründet habe“. Die Stimmung des Rückzugsorts: minimalistisch, vorwiegend Holzmöbel, kombiniert mit Vintageteilen in warmen Farben. An den Wänden Bilder von befreundeten Künstlerinnen. Und getrocknete Kräuter. Diese Pflanzen befinden sich – in diversen Verarbeitungsstadien – auch im Regal: Hier gibt es einen Boden voll mit Gläsern, Tinkturen, Kräuterölen und Pflanzen, die zum Trocknen aufgelegt sind.


Die Wohnung besteht aus einer offenen Küche mit Kochinsel und Zugang zum Balkon Richtung Innenhof – mit Abendsonne. Der Balkon ist mit Kräutertöpfen und Pflanzen begrünt, die Muhm von Wanderungen oder aus dem Garten ihrer Eltern im Waldviertel mitnimmt. Neben dem Balkonfenster stehen ihr Vintageschreibtisch und ein schwarzer Hansen-Bürostuhl, den ihr vor vielen Jahren ein Freund geschenkt hat. „Die Lehnen habe ich abmontiert, damit er neben dem kleinen Schreibtisch nicht so wuchtig wirkt.“ Die Leuchte ist Hamburger Hafenkränen nachempfunden und stammt aus ihrer ersten Nomad-Crew-Kollektion. „Der Schirm aus gedrehtem Porzellan macht ein schönes stimmungsvolles Licht, daher ist die Lampe auch an, wenn ich gar nicht arbeite“, erklärt sie.

Klappregal als Theke

Eine alte Doppelflügeltür verbindet die Küche mit dem Wohnraum, der straßenseitig gelegen ist. Dem Wohnzimmer vorgelagert ist ein kleiner französischer Balkon. „Von dort blicken wir auf die Leopoldstädter Dächer und Terrassen Richtung Prater.“ Neben Küche und Wohnraum gibt es noch zwei Schlafzimmer mit je zehn bis zwölf Quadratmetern und einen Raum, der als Musikzimmer oder für Gäste genutzt wird. Dort steht ein dänisches Bettsofa im Vintagestil in Rauchblau mit breiten Holzlehnen. „Und es gibt sogar noch eine Abstellkammer – sie ist wichtig für die dunkle Lagerung der Kräuter, Tees und Tinkturen.“

Die Wohnung wurde von den Eigentümern hochwertig und bis ins kleinste Detail für den Eigenbedarf adaptiert – und dann doch übergeben. „Es war alles da, was wir brauchten und uns gefiel: Einbauregale, stilvolle Retro-Lampen, die Küche mit Geräten und sogar das Kaminloch passend für unseren dänischen Einzelofen.“ Die schlichten Einbauschränke in den Schlafzimmern nahmen die reduzierten „sieben Zwetschgen“ gut auf, und „wir mussten nicht einmal Deckenlampen aufhängen, weil uns alle, die da waren, gefielen.“ Einzig eine Wand in der Küche wurde türkis gestrichen. Die unteren Klappregale der Küche wurden so montiert, „dass sie noch unten zu öffnen sind und als Tresen für den Frühstückstee taugen“. Davor stehen drei Barhocker mit dem Namen Traktorsitz.

Überschaubares Gut

Das restliche Mobiliar, das „ich Nomadin überallhin mitnehmen würde“ und das ihr Universum definiert: ein dreibeiniges Vintagenähkästchen, ein Esstischensemble mit Tisch, Bank, Hockern und fünf Zeichnungen von Timm. Weiters die 20 Jahre alte Couch aus Tricesimo samt rundem Couchtisch (ein Prototyp) und Ohrensessel, ein Textilwandbehang mit Pflanzendrucken von Marianne Reich sowie ein runder Eckschrank von ihrem Lieblingsvintagegeschäft in Köln. Dazu weitere Prototypen und Bilder. Für den Fall eines weitern Umzugs – „etwa wenn meine Tochter die Schule beendet hat, dann wäre es vielleicht Zeit für ein Haus mit Obstwiese“ – ist es jedenfalls beruhigend, dass der Lkw nicht oft fahren müsste.

Zum Ort und zur Person

Das Viertel um den Karmelitermarkt im 2. Wiener Bezirk erlebte in den vergangenen 20 Jahren einen Aufschwung: Zahlreiche Cafés, Künstler und Veranstaltungen beleben die Gegend. Gebrauchte Eigentumswohnungen kosten in guter/sehr guter Lage zwischen 2673,4 und 4211,3 Euro/m2, Mietwohnungen zwischen neun und 13 Euro/m2. Alexandra Muhm, früher im Marketing tätig, gründete das Label Nomad Crew, gibt Meditationskurse und berät Selbstständige.

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