Innenminister Sobotka fordert Strafen für Hilfsorganisationen, die mit Schleppern kooperieren. Gerald Knaus, Erfinder des EU-Türkei-Abkommens, warnt vor einer "gefährlichen Zuspitzung" der Diskussion.
Der Streit um Flüchtlinge, die von Nichtregierungsorganisationen an europäische Küsten gebracht werden, spitzt sich weiter zu. So beharrte Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Dienstag im Ö1-„Mittagsjournal“ auf seiner Forderung nach Strafen für Seenotretter. „Unsere Informationen sind dahingehend, dass die Leute bis zu zwei Meilen zur Küste Libyens hinfahren und sie dann 500 Meilen nach Europa bringen. Das ist eine absolut widersinnige Sache“, die nicht dem Seerecht entspreche, erhob er schwere Vorwürfe gegen NGOs. „Das Bitterste ist: Es geht immer mehr auf die Boote und die Leute ertrinken.“
Den NGOs, die sich zuletzt darüber beschwerten, als Taxis für Flüchtlinge dargestellt zu werden, richtete der Innenminister aus: „Jemand, der in libysche Gewässer widerrechtlich eindringt und mit Flüchtlingen indirekt oder direkt Kontakt aufnimmt, muss sich diese Bezeichnung gefallen lassen.“
Rückendeckung bekam Sobotka von seinem Parteichef, Außenminister Sebastian Kurz. Ebenfalls im ORF-Radio sagte dieser: „Italien hat jetzt einen Vorschlag gemacht, der ein sehr guter ist, nämlich, dass NGOs ihre Finanzierung offenlegen müssen, wenn sie im Mittelmeer aktiv sind, dass sie nichts in libyschen Gewässern verloren haben und dass sie mit den Behörden kooperieren müssen, um gegen die Schlepper vorzugehen.“ Sollten sich die Nichtregierungsorganisationen weigern, könnten ihre Schiffe beschlagnahmt werden.
Neuerlich wiederholte Kurz, schon im Frühjahr betont zu haben, dass es NGOs gebe, die gute Arbeit leisten, und eben solche, die mit Schleppern kooperieren würden. „Leider habe ich recht behalten.“
Ciernioch ortet „mehr als zynisches“ Vorgehen
Die Sprecherin der Organisation SOS Méditerrannée, Jana Ciernioch, deren Schiff aus dem Meer gerettete Flüchtlinge nach Sizilien schafft, wandte indes ein: „Wenn wir nicht vor Ort wären, würden noch mehr Menschen sterben, aber nicht weniger flüchten.“ Und sie kritisierte die Politik: „Kein europäischer Staat war willens, das Retten von Menschen im Mittelmeer voranzutreiben, deswegen gab es überhaupt private Organisationen wie uns, die diese Lücke gefüllt haben.“ Letzteren nun zu unterstellen, sie hätten mit Schleppern direkt oder indirekt zu tun, „ist mehr als zynisch“. Und Ciernioch fügte hinzu: SOS Méditerrannée sei noch nie in libyschen Gewässern unterwegs gewesen.
Gerald Knaus, Erfinder des EU-Türkei-Abkommens, sieht in der Forderung nach Strafen für NGOs „eine gefährliche Zuspitzung einer relativ absurden Debatte“. Man habe es einerseits mit der „Verzweiflung der Regierungen, die tatsächlich nicht wissen, was sie tun sollen“, zu tun sowie andererseits mit nicht bestätigten „Gerüchten über NGOs“ und zuletzt mit „einer Verwirrung über das Seerecht“. Gerade letzteres würde nämlich klarstellen: „Jeder muss Leuten zu Hilfe kommen, die in Seenot geraten.“
Die meisten Rettungen würden überdies offizielle Schiffe des italienischen Staates sowie der EU durchführen. „Das heißt: An dem Grundproblem, dass mehr Leute sich in Boote setzen und ertrinken als je zuvor, werden diese Angriffe auf die NGOs auch nichts ändern.“ Europa behaupte von sich, jenen, die in Seenot geraten sind, zu helfen, um ein Zeichen zu setzen. Fraglich sei aber, wie lange man noch durchhalten könne. Vielmehr müssten andere Wege gefunden werden, um sicherzustellen, „dass weniger Leute dieses tödliche russische Roulette spielen“. Es müsse, so Knaus, erkannt werden, dass in einem grenzenlosen Schengenraum das Mittelmeer eine gemeinsame europäische Außengrenze darstelle, weshalb die Bürde nicht Italien alleine zu stemmen habe.
>>> Bericht im Ö1-„Mittagsjournal“
(Red.)