Karin Kneissl. Wie ein Shitstorm die Nahost-Expertin zur FPÖ trieb.
Es ist ein spektakuläres Comeback, das sich da anbahnt. Vor fast 20 Jahren quittierte Karin Kneissl entnervt den diplomatischen Dienst. Schon im Kabinett von Alois Mock hatte ihr vieles nicht behagt – die omnipräsente Parteipolitik ebenso wenig wie die Oberflächlichkeit, das Duckmäusertum und die Macht der Pressesprecher. Als sie dann 1996 mit den Worten „Du kannst doch Italienisch“ nach Spanien versetzt wurde, hielt es die Arabistin und Juristin nur noch zwei Jahre im Außenamt aus. Sie warf alles hin, sprang ins kalte Wasser und baute sich eine Karriere als Publizistin und Energieanalystin auf. Demnächst dürfte Kneissl in die Diplomatie zurückkehren, und zwar ganz oben. Ihre Bestellung zur Außenministerin gilt als sicher. VP-Chef Kurz hat nichts einzuwenden gegen den Personalvorschlag, den FP-Chef Strache eingebracht – und Kneissl selbst publik gemacht hat. Die Nahost-Expertin ist parteilos und deshalb die perfekte Konsenskandidatin, wenn die ÖVP das Ressort schon dem blauen Juniorpartner überlassen muss.
Ideologisch ist Kneissl ein Mischwesen. Sie selbst bezeichnet sich als konservativen Freigeist – mit einem Hang zum Rebellischen, wenn sie in Hierarchien unsinnige Weisungen erdulden muss. An der Spitze des Ministeriums wird sie darunter kaum zu leiden haben, doch es wartet eine andere Herausforderung: Außer sich selbst hat die 52-Jährige bisher noch keinen geführt. Politische Erfahrung hat sie nur als Gemeinderätin in ihrem niederösterreichischen Wohnort, Seibersdorf, gesammelt, als Unabhängige auf der VP-Liste.
Eloquent und selbstbewusst jedoch ist sie. Das hat Kneissl bei unzähligen TV-Auftritten bewiesen. Sie spricht gern geradeheraus. Und von der Materie hat die Mehrsprachige zweifellos auch Ahnung. Außenpolitik ist ihre Leidenschaft. Ihre Liebe gilt dem Orient, dem versinkenden säkularen. Als Kind wuchs die gebürtige Wienerin zum Teil in Amman auf. König Hussein hatte ihren Vater als Piloten für die jordanische Luftlinie engagiert. Sie kam immer wieder in die Region zurück, als Studentin, Journalistin und Uni-Vortragende. Besonders eng ist ihre Beziehung zum Libanon. Israel dürfte sie kritisch gegenüberstehen. Jüdische Gruppen verbreiteten zuletzt einen Nebensatz aus ihrem Buch „Mein Naher Osten“, in dem sie den Zionismus eine Blut-und-Boden-Ideologie nennt.
Kneissl versteht sich als Realpolitikerin, doch es steckt auch eine Idealistin in ihr. In jungen Jahren war sie Mitglied von Amnesty International und Greenpeace. In die Arme der FPÖ hat sie die Flüchtlingskrise getrieben. Als sie in der „Presse am Sonntag“ auf den hohen Anteil junger Männer unter den arabischen Migranten und die testosterongesteuerten Implikationen hinwies, brach ein Shitstorm über sie herein. Die FPÖ indes bat sie zu Veranstaltungen, woraufhin man sie anderswo auslud. Anfang 2016 erwog Strache, Kneissl als Präsidentschaftskandidatin zu nominieren. Sie winkte ab. Damals war ihr geistige Unabhängigkeit wichtiger. Jetzt ist Kneissl bereit zum „Dienst an der Republik“, wie sie sagt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2017)