Mit Kritik an der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Regierung versucht sich die SPÖ in der ungewohnten Oppositionsrolle zu profilieren. Im Herbst soll die Parteireform stehen.
Maria Taferl. SPÖ-Chef Christian Kern wäre an seinem 52. Geburtstag am Donnerstag wohl lieber noch bei der gleichzeitig stattfindenden Regierungsklausur gewesen. Stattdessen leitet er die SPÖ-Präsidiumssitzung in Maria Taferl (Niederösterreich) im Hotel Kaiserhof – ohne Kanzlerkrone.
Als Trost bekommt er von seinen Genossen nach der dreistündigen Sitzung eine Geburtstagstorte im weiß-violetten Design seines Herzens-Fußballvereins Austria. Und ein Ständchen wird gesungen, für das ein Minichor engagiert wurde. Den rund 30 hochrangigen Parteimitgliedern bleibt die Peinlichkeit erspart, vor den vielen Journalisten singen zu müssen. Auf „Happy Birthday“ in der Stevie-Wonder-Version folgt „Ein Hoch auf uns“ von Andreas Bourani – und die Textzeilen „Ein Hoch auf das, was vor uns liegt. Dass es das Beste für uns gibt. Ein Hoch auf das, was uns vereint“ singt manch Funktionär euphorisch mit.
Neuer Kampfgeist
Es scheint, als hätte die SPÖ nach einer Schreckstarre ob des ÖVP-Wahlsiegs ihren Kampfgeist wiederentdeckt. Kern, der sich sonst eher diplomatisch ausdrückt, findet scharfe Worte für Türkis-Blau, spricht von einer Regierung aus „Schall und Rauch“, ortet soziale Kälte und unterstellt auch schlicht Unwissenheit und Inkompetenz.
So empfiehlt er Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) etwa, den Taschenrechner zu benutzen, bevor sie behaupte, dass die Aktion 20.000 nichts bringe. In den evaluierten Modellregionen sei die Arbeitslosigkeit Älterer stark zurückgegangen – und ein geförderter Arbeitnehmer in Beschäftigung koste den Staat nur rund 100 Euro mehr als ein durchschnittlicher Notstandshilfebezieher. Jemand, der arbeitet, bringe dem Staat immerhin auch Geld durch Steuern, Beiträge und Konsum.
Kern findet, dass die neue Regierung gegenüber der heimischen Bevölkerung sogar arbeitsmarktfeindlich agiere, da die Liste der Mangelberufe regional erweitert werden solle und darum mehr Ausländer Zugang zu heimischen Jobs bekämen (siehe Seite 14).
Rund drei Millionen kleinste Einkommensbezieher entlaste die neue Regierung mit ihren Plänen gar nicht, obwohl diese auch Abgaben zahlen. Und dann wäre da noch das Thema Wohnen: Statt Menschen zu entlasten, würden Mieten mit Lagezuschlägen noch teurer gemacht. „Und wenn sie sich das dann nicht mehr leisten können, empfiehlt man zynisch, sie sollen sich Eigentum anschaffen“, wettert Kern.
„Genug analysiert“
Es sollen also die Urthemen der SPÖ sein, auf die sie sich in der Oppositionsrolle besinnen möchte: Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen, Wohnen und Bildung. „Das ist aber auch nix Schlechtes. Es wurde der SPÖ ja oft vorgeworfen, in ihren Kerngebieten zu wenig zu tun“, sagt der frischgebackene Bundesgeschäftsführer Max Lercher, der seinen ersten großen Auftritt in diesem wichtigen Parteigremium hatte und seine Projekte vorstellte. „Im Oktober wird es einen Reformparteitag geben, und bis dahin muss alles stehen“, sagt er. Eine neue Organisation brauche es ebenso wie Partizipationsmöglichkeiten und ein Grundsatzprogramm. „Die SPÖ hat genug herumanalysiert. Wir wissen, wo unsere Probleme sind, jetzt muss etwas getan werden“, so Lercher.
Wieder Wahlen
Das Erste, was die SPÖ in nächster Zeit tun muss, ist, die Landtagswahl in Niederösterreich am 28. Jänner einigermaßen gut über die Bühne zu bringen. Laut Umfragen kratzt die ÖVP an der Absoluten. Das Wahlziel der SPÖ: „Die Absolute zu brechen“, so Spitzenkandidat Franz Schnabl. Auch auf Niederösterreich sieht er eine Regierung zukommen, die mit massiven Einschnitten im Sozialsystem einhergehen könnte. „Es gibt kaum ein Bundesland, das so hoch verschuldet ist wie Niederösterreich. Wenn die Bundesregierung nun die geplante Schuldenbremse verfassungsrechtlich verankert, dürfen Sie raten, wo Schwarz und Blau sparen wollen, wenn man sich anschaut, wo sie jetzt ihre Prioritäten setzen“, sagt Schnabl.
Auch in Wien steht die SPÖ vor einer großen Entscheidung. Bürgermeister Michael Häupl wird einen Tag vor Schnabls Tag der Entscheidung nach 23 Jahren ein Stück seiner Macht abgeben. Am 27. Jänner übergibt er den Parteivorsitz – an Wohnbaustadtrat Michael Ludwig oder den geschäftsführenden Klubobmann im Parlament, Andreas Schieder. „Ich weiß schon, wen ich wähle, aber ich werde den Teufel tun, Ihnen das zu sagen“, sagt er zur „Presse“. Wehmut verspüre er keine: „Es gibt genug Menschen um mich, die dafür sorgen, dass ich keine Sekunde traurig bin.“ Und: „Es gibt noch genug zu tun.“
Zum Beispiel als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz zu versuchen, Widerstand anzuzetteln: „Ich bin mit den Kollegen in einem guten Gespräch, und es ist auch unter den schwarzen Länderchefs nicht so, dass die von den Plänen des Bundes nur begeistert sind“. So seien in den Gemeinden viele Jobs weggefallen, die durch die Aktion 20.000 geschaffen wurden. Namen von vermeintlich rebellischen Landeshauptleuten will Häupl aber keine nennen: „Das werdet's dann schon sehen.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2018)