Die Regierung will EU-Recht nicht mehr übererfüllen. Aber ist „Gold Plating“ so etwas Schlechtes? Die wahre Reform wartet auf Minister Moser andernorts.
Auf die Übererfüllung von EU-Normen (Gold Plating) im nationalen Recht solle grundsätzlich verzichtet werden. Das kündigte Reformminister Josef Moser gemeinsam mit Kanzler Sebastian Kurz an. Sowohl im Ministerrat als auch als Gesetz werde dieser Grundsatz verbrieft werden, erklärten die Regierungsvertreter.
Diese Arbeit können sie sich sparen, denn so ein Gesetz gibt es schon. Erst im Vorjahr beschloss die damalige rot-schwarze Koalition eine Norm mit dem klingenden Namen Deregulierungsgrundsätzegesetz. Darin heißt es: „Bei der Vorbereitung der Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Union ist darauf zu achten, dass die vorgegebenen Standards nicht ohne Grund übererfüllt werden.“ Und schon das war nichts Neues. Denn bereits 2001 – damals war eine schwarz-blaue Regierung im Amt – wurde ein ganz ähnlicher Gesetzestext erlassen, mit dem man die grundlose Übererfüllung von EU-Recht stoppen wollte.
Beide Gesetze blieben bedeutungslos. Denn ein einfaches Gesetz gegen Gold Plating kann das Parlament bei einer späteren Umsetzung von EU-Recht ohnedies nicht binden, schlägt doch das neuere Gesetz immer das ältere. Nur ein Verfassungsgesetz hätte Auswirkungen auf spätere Beschlüsse. In der Verfassung festzuschreiben, dass man EU-Recht nicht mehr übererfüllen dürfe, wäre aber noch kurioser. Es wäre eine Selbstaufgabe des Staates, wenn man kein nationales Recht mehr setzen dürfte, das über die Vorgaben aus Brüssel hinausgeht.
Schön ist auch die gesetzliche Regel, laut der man EU-Recht „nicht ohne Grund“ übererfüllen soll. Man würde ja hoffen, dass das Parlament nie grundlos Gesetze beschließt. Und damit sind wir schon beim eigentlichen Thema. Es braucht kein Gesetz gegen Gold Plating. Wenn die Politik meint, dass sie auf eine Übererfüllung von EU-Regeln in einem bestimmten Punkt verzichten will, dann soll sie das bitte einfach tun. Und wenn die Politik meint, man benötige mehr Regeln als von Brüssel vorgesehen, dann soll sie diese erlassen. Gold Plating ist grundsätzlich weder gut noch schlecht. Sondern es liegt alles im Auge des Betrachters.
Gibt man Unternehmen mehr Rechte als von der EU mindestens vorgesehen, wird das die Wirtschaft freuen und Verbraucherschützer ärgern. Bei Konsumentenschutzrechten ist es umgekehrt. Und die in Österreich weitgehender umgesetzte Allergenkennzeichnung ärgert Wirte, freut aber Allergiker. Am Ende muss man sich einfach entscheiden.
Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das Projekt Josef Mosers sehen, der das Gold Plating sogar bei bereits bestehenden Gesetzen abschaffen will. Dafür sammelt er Vorschläge ein. Nun wird es Bestimmungen geben, deren Abschaffung objektiv betrachtet sinnvoll ist. Weil sie niemandem nutzen, aber für Bürokratie sorgen. Doch in den meisten Fällen wird man nicht so einfach sagen können, ob die Übererfüllung von EU-Recht gut oder schlecht war. In der Regel wird dahinter die Frage stehen, wem man ein Recht wegnimmt, damit jemand anderer mehr davon hat. Das ist auch legitim, das ist Politik. Nur sagen sollte es die Koalition offen und nicht aus PR-Gründen so tun, als wäre das Gold Plating einfach generell schlecht.
Eine große Reform darf man sich beim Gold Plating aber nicht erwarten, will die Regierung es sich nicht total mit einer Interessengruppe verscherzen. So wie auch Mosers anderes Projekt, die Abschaffung von faktisch bereits totem Recht, mehr etwas für juristische Feinschmecker ist. Eine echte Reform wäre hingegen die vom Minister gewünschte Bereinigung bei den Kompetenzen zwischen Bund und Ländern.
Eine Klarstellung, wer wofür zuständig ist und zahlt, würde dem Staat helfen. So, wie überhaupt eine Föderalismusreform nottut. Sie ist freilich nicht so leicht durchzuführen, bringt nicht so schnell Schlagzeilen, und es ist mit viel Widerstand zu rechnen. Doch es wäre gut, würde die Regierung ihre Kraft dafür aufwenden, bevor sie ein drittes Gesetz gegen Gold Plating forciert. Denn das wahre Gold liegt nicht im Gold Plating, sondern in den Einsparungen, die eine Staatsreform bringen kann.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2018)