Ende des Pflegeregresses „ist und bleibt ein Stumpfsinn“

Hermann Schützenhöfer (ÖVP)
Hermann Schützenhöfer (ÖVP)APA/ERWIN SCHERIAU
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Der steirische Landeshauptmann Schützenhöfer übt Kritik an der Bundesregierung. Die Länder sollten sich jedoch am Reformkurs beteiligen.

Die Länder sollen die Bundesregierung in ihrer Reformpolitik „nicht behindern, sondern ermuntern“: Das wünscht sich der steirische Landeshauptmann, Hermann Schützenhöfer (ÖVP), der nach den Landtagswahlen jetzt ein Zeitfenster für gestaltendes Handeln sieht. „Sebastian Kurz ist für die nächsten ein, zwei Jahre auf dem Höhepunkt der Macht. Er steht vor den Mauern des Systems und wagt zu fragen, ob da was verkrustet ist“, betont der Steirer.

Die ÖVP-Zuwächse bei den Landtagswahlen seien nicht nur der Landespolitik zu verdanken: „Sie tragen auch den Namen von Kurz. Deshalb haben die Länder eine Verpflichtung, mit ihm gemeinsam die Reformen zu tragen.“ Das habe man vorher so ausgemacht, sagt Schützenhöfer. Denn „wenn die verbreitete Kurz-Euphorie einmal verblasst, dann hängen Wohl und Wehe der Regierung davon ab, ob sie etwas Greifbares vorweisen kann“.

Drei Vorhaben sind aus Sicht des Steirers zentral: die Reform der Sozialversicherungen, der finanzielle Ausgleich für den entfallenen Pflegeregress und die Schaffung einer einheitlichen Mindestsicherung. Letztere sei „ein ganz schwieriges Thema“. Denn eines sei klar: „Wenn ein Modell kommt, das den Ländern viel Spielraum lässt, dann ändert sich gar nichts.“

Es geht nicht nur um Ausländer

Im Fokus der Mindestsicherungsreform stünden keineswegs die Ausländer. In der Steiermark etwa stammten 70 Prozent der Bezieher aus dem Inland. „Aber man muss fragen: Was ist Arbeit im Vergleich zu einer Sozialleistung wert?“ Schützenhöfer bekennt, er sei für ein härteres Modell. „Natürlich“ solle man unterscheiden zwischen den neu Hinzukommenden und jenen, die schon Jahrzehnte in das System einzahlen. Die Regierung habe sich vorgenommen, das zu diskutieren – „ohne falschen Zungenschlag, aber doch entschlossen“.

Die zuletzt geübte Kritik der Caritas weist Schützenhöfer mit dem Hinweis zurück, in der „warmen Stube der Gutmenschendebatte“ sähen manche Dinge eben anders aus als in der Realität.

Harsche Kritik übt der Landeshauptmann an der noch von der alten SPÖ-ÖVP-Regierung beschlossenen Abschaffung des Pflegeregresses: „Das ist und bleibt ein Stumpfsinn.“ Zugleich deutet er an, eine Lösung mit dem Bund sei bereits in Griffweite: „Das wird einvernehmlich mit den Ländern gelöst. Das kostet viel Geld, aber das müssen wir von der Tagesordnung bringen.“ Schützenhöfer fordert deshalb eine generelle Versicherungspflicht in diesem Bereich.

Es gehe aber nicht nur ums Finanzielle: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine staatliche Rundumversorgung von der Wiege bis zur Bahre noch stärker einführen. Das ist ein fatales Signal.“ Nach der Kinderbetreuung mit einer Rekordzahl an Krippen und Kindergärten werde nun quasi auch die Altenpflege verstaatlicht: „Dadurch schleicht sich viel Beliebigkeit ein in die Gesellschaft.“

Kammern als „Staat im Staate“

Beim Thema Sozialversicherung betont Schützenhöfer: „Ich habe kein fertiges Modell, aber ich sehe auf jeden Fall Veränderungsbedarf.“ Bei Kammern und Sozialversicherungen habe sich „ein Staat im Staate“ gebildet. Die von der Regierung initiierte Privilegiendebatte sei freilich „nicht nobelpreisverdächtig“ gewesen.

Vor der Wahl habe man die Zusammenlegung von 21 auf fünf Kassen ausgemacht: „Ob da die AUVA dabei ist, ist noch nirgendwo besprochen und endgültig entschieden.“ Kanzler und Vizekanzler müssten hier „Flagge zeigen“, dann kämen auch die Länder mit ins Boot. Umgekehrt habe auch die AUVA keine ernsthaften Sparvorschläge gemacht. Schützenhöfers Befund: „Die gegenseitige Lust, es mit einem Systemwandel nicht ernst zu nehmen, ist ausgeprägt.“

Unmut äußert der Steirer darüber, dass die Länder in der Reformdebatte als Bremser und Verhinderer dargestellt würden: „Das magerlt uns ziemlich. Die Länder sind näher an den Menschen, sie gibt es schon länger als den Bund. Und sie machen nur 24 Prozent der Schulden, während 76 Prozent dem Bund zuzurechnen sind.“

Mit der bisherigen Leistung der Regierung ist der Steirer offenbar nicht uneingeschränkt zufrieden. Er formuliert es so: „Die Regierung ist in der allgemeinen Wahrnehmung gut auf Kurs. Ob das auch den Fakten standhält, will ich jetzt gar nicht untersuchen.“ Letztlich entscheide aber bei Wahlen sowieso die Wahrnehmung.

Das Gespräch wurde von den Chefredakteuren der „Presse“ und der Bundesländerzeitungen geführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2018)

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