Eisenbahner-Kampfmaßnahmen: Viele Räder standen still

250 Züge sind am Montag wegen der Betriebsversammlungen der Eisenbahner ausgefallen.
250 Züge sind am Montag wegen der Betriebsversammlungen der Eisenbahner ausgefallen. (c) APA/ERWIN SCHERIAU (ERWIN SCHERIAU)
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Die Eisenbahner setzten die ersten gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen gegen den Zwölf-Stunden-Tag, obwohl sie diesen selbst längst haben. Bundeskanzler Kurz lehnt weitere Verhandlungen zum Arbeitszeitgesetz ab.

Wien. Der Tag verlief natürlich nicht wie geplant. Der Mann mit der gelben Jacke, der in der Früh von Sankt Veit an der Gölsen mit dem Zug nach Wien fahren wollte, musste auf dem Bahnsteig wieder umdrehen. Sein Zug war kurzfristig ausgefallen, auf den nächsten zu warten, dauerte zu lange. Also ging er den einen Kilometer wieder zurück nach Hause, setzte sich ins Auto, fuhr 25 Kilometer nach Sankt Pölten und setzte sich dann dort in den Zug. Er erreichte Wien 25 Minuten später als sonst.

Wütend ist er deswegen nicht, als er am Montagmorgen mit Tausenden anderen Fahrgästen in schnellerem Schritt durch die Bahnhofshallen marschiert. „Es ist in Ordnung. Wer viel pendelt, der versteht das“, sagt er, bevor er weiter in Richtung U-Bahnstation geht. Er drückt aus, was viele an diesem Tag denken: Solche Tage sind nicht super, aber irgendwie verständlich, und ganz so schlimm ist es dann auch wieder nicht.

Bereits kurz nach halb sieben Uhr in der Früh werden die ersten Zugausfälle und -verspätungen am Wiener Hauptbahnhof gemeldet. „Bitte rechnen Sie heute mit starken Verspätungen“, sagt die Stimme von Chris Lohner (die seit mehr als 35 Jahren für die ÖBB die Ansagen macht) alle fünf Minuten durch die Lautsprecher. Gefolgt von vereinzelten „Dieser Zug fällt heute aus“-Sagern, etwa der Regionalzug 7404 nach Wiener Neustadt, Planabfahrt 7.28 oder der Zug nach Marchegg um 7.49 Uhr.

Rund 10.000 ÖBB-Bedienstete haben nach Angaben der Gewerkschaft an den Betriebsversammlungen teilgenommen, dadurch sind 250 von insgesamt 5000 Zügen im Laufe des Vormittags ausgefallen. Besonders betroffen sind Graz, Linz und in Wien die S-Bahn. Dort seien aber zahlreiche Passagiere auf die Wiener Linien ausgewichen, heißt es seitens der ÖBB.

Doch die Fahrgäste nehmen die Störungen in Wien fast schon gelassen hin. Vielleicht, weil die ÖBB das Chaos gut angekündigt haben. Bereits in der Vorwoche wurden wegen der geplanten Änderungen bei der Arbeitszeit rund 200 Betriebsversammlungen in ganz Österreich von sechs bis neun Uhr in der Früh angekündigt. Es sei mit „massiven Zugverspätungen und Zugausfällen zu rechnen“, hieß es dazu am Freitag.

Weniger Verständnis für diese erste Eskalationsstufe gewerkschaftlicher Maßnahmen hatte dagegen der Verkehrsminister: Norbert Hofer (FPÖ) merkte an, dass es bei den ÖBB ohnehin schon Zwölf-Stunden-Schichten gebe – und das mit Einverständnis der Gewerkschaft. Und auch die Unternehmensführung hielt in einem internen Papier fest, dass die geplanten Gesetzesänderungen kaum Auswirkungen auf die ÖBB-Bediensteten haben wird. Änderungen seien nur im Einverständnis mit der Gewerkschaft möglich (siehe dazu Kommentar Seite 13).

Das sieht Konzernbetriebsratschef Roman Hebenstreit – er ist auch Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Vida – anders: Die neuen Arbeitszeitregeln würden zusätzliche 100 Überstunden im Jahr ermöglichen. Auffällig ist aber trotzdem, dass gerade die Eisenbahnergewerkschaft, die nicht so stark betroffen ist wie andere Interessenvertretungen, die Maßnahmen mit der größten Öffentlichkeitswirksamkeit setzen. Hingegen hat beispielsweise der Betriebsrat der Wiener Linien keine größeren Aktionen gesetzt. Und der ist in einer ähnlichen Situation wie die Eisenbahner: Aufgrund von Betriebsvereinbarungen sind keine gröberen Auswirkungen des Gesetzes zu erwarten. Man sei mit den anderen Beschäftigten solidarisch, heißt es dazu aus der zuständigen Gewerkschaft Younion. Gewerkschaftliche Maßnahmen seien für die Zukunft nicht ausgeschlossen, zur Zeit aber nicht fixiert.

Politisch ambitioniert

Der Grund für die unterschiedliche Zugangsweise könnte auch durch die politische Konstellation erklärt werden: Die Eisenbahnergewerkschaft gilt nicht nur von ihrer Tradition her als Speerspitze der Gewerkschaftsbewegung, sie hat auch einen politisch ambitionierten Vorsitzenden. Roman Hebenstreit ist zwar beim eben stattgefundenen Machtwechsel im ÖGB nicht zum Zug gekommen, die derzeitige ÖGB-Spitze wird aber schon aus Altersgründen nicht all zu lange bleiben. Sowohl Präsident Wolfgang Katzian als auch der Chef der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter, Rainer Wimmer, sind schon über 60. Hebenstreit ist sowohl hier ein Nachfolgekandidat als auch in der SPÖ, wo ihn viele reif für höhere Weihen sehen.

Anders dagegen Younion-Vorsitzender Christian Meidlinger: Der ist in der Wiener SPÖ verankert und hat dort den ebenfalls aus Floridsdorf kommenden Michael Ludwig bei der Wahl zum Parteichef unterstützt. Und Ludwig dürfte – bei aller Unterstützung für den ÖGB – kein all zu großes Interesse haben, auf Frontalopposition zur Bundesregierung zu gehen. Zumal ja ein Lahmlegen des Öffentlichen Verkehrs in Wien nicht nur die Regierung treffen würde, sondern auch der Wiener Stadtregierung angelastet würde.

Bundeskanzler Sebastian Kurz hat am Montag jedenfalls weitere Verhandlungen zum Arbeitszeitgesetz ausgeschlossen. Dieses soll am Donnerstag beschlossen werden. Mit weiteren Aktionen der Gewerkschaft ist zu rechnen.

ZUR PERSON

Roman Hebenstreit
(47) ist seit 2011 Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der ÖBB. Seit 2016 ist er auch Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Vida. Er gilt als Kandidat für höhere Posten im ÖGB – und selbst in der SPÖ.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2018)

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