Neue Regierung steht: Bierlein bindet alle Parteien ein

Brigitte Bierlein
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Bis zuletzt wurde um das Innenministerium gerungen. Minister wird nun Wolfgang Peschorn, der Leiter der Finanzprokuratur.

Wien. Sonntagnachmittag hat die designierte Kanzlerin Brigitte Bierlein ihre Übergangsregierung fixiert, heute, Montag um elf Uhr soll die Angelobung erfolgen. Es ist eine Expertenregierung, aber mit einer klaren politischen Ausrichtung: Die Beamten, die nun in die Übergangsregierung aufrücken, stehen jeweils einer der drei großen Parteien nahe. Das soll offensichtlich garantieren, dass die Regierung trotz fehlender parlamentarischer Mehrheit nicht mittels Misstrauensantrag gestürzt wird.

Wobei die ÖVP über eine klare Mehrheit in dieser Regierung verfügt. Von den elf Ministern stehen sechs der Volkspartei nahe, vier der SPÖ und nur einer der FPÖ. Auch einen Koordinationsausschuss soll es in der Regierung geben, dem jeweils ein Vertreter einer der Parteien angehört. Für die ÖVP wäre dies Außenminister Alexander Schallenberg, für die SPÖ Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner und für die FPÖ Infrastrukturminister Andreas Reichhardt. Letzterer ist Sektionschef im Ministerium und war zuletzt unter Norbert Hofer Generalsekretär des Ressorts.

In der Endphase kam noch etwas Sand ins Getriebe der Regierungsbildung. Grund dafür war der Plan, das Innenministerium mit dem oberösterreichischen Landespolizeidirektor Andreas Pilsl zu besetzen. Gegen Pilsl regte sich heftiger Widerstand, der von der FPÖ auch publik gemacht wurde. Denn Pilsl stammt aus jenem Team, das der damalige ÖVP-Innenminister Ernst Strasser in der Regierung Schüssel um sich geschart hat und mit dem er das Innenressort auf ÖVP-Linie gedreht hat. Pilsl sei mittendrin gewesen, als die schwarzen Netzwerke geknüpft wurden, schrieb Generalsekretär Christian Hafenecker in einer Aussendung.

Aber auch die SPÖ dürfte mit der Personalie keine große Freude gehabt haben. Denn Pilsl wurde einst vorgeworfen, über den Polizeiapparat Wahlkampfmunition für die ÖVP in der Causa Bawag angefordert zu haben. Die Angelegenheit wurde vor elf Jahren in einem eigenen parlamentarischen Untersuchungsausschuss abgehandelt. Pilsl bestritt die Vorwürfe, die SPÖ forderte damals seine Absetzung als Landespolizeidirektor.

Mit Wolfgang Peschorn hat Bierlein nun einen Innenminister gefunden, der zwar keine besonderen Kenntnisse des Polizeiapparates hat, aber als Leiter der Finanzprokuratur über die Parteigrenzen hinweg geachtet ist. Peschorn war in der Vergangenheit in wichtige politische Entscheidungen eingebunden, auch wenn seine Stimme nicht immer gehört wurde. So hatte er bei den Vergleichsverhandlungen mit Eurofighter im Jahr 2007 ebenso eine gänzlich andere Meinung als Minister Norbert Darabos wie ein Jahr später, als Finanzminister Josef Pröll die Hypo Alpe Adria kaufte. In beiden Fällen hatte Peschorn recht, wie sich später herausstellen sollte.

Die meisten Besetzungen sind am Samstag schon bekannt geworden, die „Presse am Sonntag" berichtete. Etwas überraschend sind zwei Bestellungen: Im Infrastrukturministerium kam nicht Asfinag-Vorstand Hartwig Hufnagl zum Zug, sondern Andreas Reichhardt, wobei diese Personalie nicht unumstritten sein dürfte: Reichhardt ist Burschenschafter und war bei jenen Wehrsportübungen einer rechten Gruppierung dabei, an denen damals auch der junge Heinz-Christian Strache teilgenommen hat. Allerdings ist Reichhardt inzwischen schon langjähriger Sektionschef im Ministerium, sein Vertrag wurde auch von SPÖ-Ministern verlängert.

Adjutant Van der Bellens wird Minister

Überraschend ist auch die Bestellung von Thomas Starlinger als Verteidigungsminister. Da hatte zuvor Sektionschef Christian Kemperle als Favorit gegolten. Bei der Bestellung von Starlinger hat wohl der Bundespräsident den Ausschlag gegeben, der seinen eigenen Adjutanten in die Bundesregierung geschickt hat. Starlinger war zuvor Verbindungsoffizier des Bundesheers bei der Nato, er gilt als SPÖ-nahe mit einer Affinität zu den Grünen. Und er gilt im Bundesheer als Querdenker, der schon öfters mit unkonventionellen Gedanken aufgefallen ist.

Wolfgang Peschorn wird Innenminister; er war bisher Präsident der Finanzprokuratur, 2006 durch den von der ÖVP nominierten Finanzminister Karl-Heinz Grasser bestellt.

Maria Patek übernimmt das Landwirtschaftsministerium. Sie war bisher Leiterin der Sektion III in diesem Ressort.

Andreas Reichhardt wird Verkehrsminister. Er hat unter Ex-Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) als Generalsekretär fungiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2019)

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