"Tolles frauenpolitisches Signal“, Sorge vor „wehrpolitischen Giftküche": Parteien, Kirche und Milizverband kommentieren das neue Kabinett - mal positiver, mal skeptischer.
Betont freundlich ist die neue Regierung von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein am Montag von den politischen Parteien aufgenommen worden. Kritik gab es nur vereinzelt. Kardinal Christoph Schönborn wünschte dem Kabinett "Weisheit, Augenmaß, Mut und Gottes Segen". In diesen "turbulenten Zeiten" habe Österreich in Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen "Anker der Stabilität“, meinte er und fügte hinzu: "Dafür bin ich sehr dankbar."
SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner blickt "zuversichtlich" auf die Zusammenarbeit mit Kanzlerin und Expertenregierung. Rendi-Wagner begrüßte, dass Bierlein ihr Kabinett so schnell zusammengestellt hat. Dass erstmals eine Frau an der Spitze der Regierung steht, ist für die SPÖ-Vorsitzende "ein tolles frauenpolitisches Signal". Sie sieht nun gute Voraussetzungen dafür, dass wieder Ruhe ins Land einkehrt und die kommenden Monate von Stabilität geprägt sein können.
Der designierte FPÖ-Obmann Norbert Hofer bedankte sich bei Van der Bellen und Bierlein für deren umsichtiges Handeln und die konstruktiven Gespräche in den vergangenen Tagen. Hofer bot die FPÖ als verlässlichen Partner an und ging davon aus, "dass die neuen Mitglieder der Bundesregierung die anstehenden Amtsgeschäfte mit großer Umsicht und mit Rücksicht auf den Charakter einer Übergangsregierung erledigen werden." Auch der geschäftsführende FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl zeigte sich zuversichtlich, dass die Regierung die Verwaltung gut weiterführen werde, ehe sich im Herbst bei Neuwahlen die Gelegenheit für neue politische Weichenstellungen ergebe.
Habemus Regierung - wieder einmal. Brigitte Bierlein, erste Kanzlerin Österreichs und bisherige Präsidentin des Verfassungsgerichtshof, hat ihr Kabinett zusammengestellt, mit dem sie das Land bis zu den Neuwahlen im September regieren wird. REUTERS
Der frühere Präsident des Verwaltungsgerichtshofs ist neuer Justizminister und Vizekanzler. Jabloner war von 1998 bis 2003 auch Vorsitzender der Historikerkommission, er gilt als SPÖ-nahe. APA/ROLAND SCHLAGER
Der Leiter der Europaabteilung im Außenressort ist neuer Außenminister sowie zuständig für die EU-Agenden, Kunst, Kultur und Medien. Schallenberg gilt als ÖVP-nahe, er hat für die Volkspartei auch den Koalitionsvertrag mit der FPÖ mitverhandelt. APA/HELMUT FOHRINGER
Der Jurist wurde 2006 unter Karl-Heinz Grasser Präsident der Finanzprokuratur. Damit ist er Anwalt und Berater der Republik. Von 2009 bis 2012 war er außerdem Leiter der CSI Hypo. Nicht selten wird Peschorn als "der mächtigste Beamte des Landes" bezeichnet, nun übernimmt er das Innenressort. APA/ROLAND SCHLAGER
Eduard Müller war bisher Leiter der Sektion eins, das ist die Präsidialsektion im Finanzministerium. Diese ist für das Personalmanagement verantwortlich und hat die zentrale Koordinierungsverantwortung für den Resourceneinsatz im Ressort. Müller wurde von Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling in diese Funktion berufen – und das etwas ungewöhnlich: Unter Finanzministerin Maria Fekter war Müller, damals Vize-Leiter der Sektion vier, angeblich im Groll aus dem Ministerium in die Privatwirtschaft geflüchtet und Geschäftsführer des Linde-Verlags geworden. Schelling gelang es, ihn zurückzuholen. APA/HELMUT FOHRINGER
Sie ist eine Wegbegleiterin des einstigen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel: Elisabeth Udolf-Strobl arbeitete in den Kabinetten des damaligen Wirtschafts- und Außenministers, ehe sie im Jahr 1999 Leiterin der Sektion Tourismus im Wirtschaftsministerium wurde. Später kam auch noch die Zuständigkeit für historische Bauten – etwa das Schloss Schönbrunn – hinzu. APA/HELMUT FOHRINGER
Auch sie war bis dato Leiterin der Präsidialsektion, in diesem Fall des Sozialministeriums. Die Bestellung von Zarfl als Sozialministerin gilt als Signal an die SPÖ. Die studierte Naturwissenschafterin leitete im Sozialressort die Gruppe EU, Internationales, Senioren und Freiwillige, ehe sie 2015 vom damaligen Sozialminister Rudolf Hundstorfer zur Sektionschefin bestellt wurde. Hundstorfer bezeichnete damals die Bestellung der Mutter zweier Töchter als klares Signal für Frauen in Führungspositionen. APA/HELMUT FOHRINGER
Das Landwirtschaftsministerium bleibt in weiblicher Hand: Maria Patek übernimmt von Bundesministerin Elisabeth Köstinger. Von dieser wurde sie Mitte 2018 mit der Leitung der Sektion Forstwirtschaft und Nachhaltigkeit im Landwirtschaftsministerium betraut. Davor leitete sie die Sektion "Wasserwirtschaft". Im Landwirtschaftsministerium agierte sie außerdem zwei Jahre lang als Beauftragte für Gender Mainstreaming. APA/HELMUT FOHRINGER
Andreas Reichhardt fungierte unter Ex-Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) als Generalsekretär. Zuvor war der Burschenschafter Sektionschef im Verkehrsministerium. Im Jahr 2008 sorgten Fotos für Aufregung, die Reichhardt gemeinsam mit dem zurückgetretenen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bei Wehrsportübungen zeigten. Der 50-jährige Wiener begann seine politische Karriere als Referent des Zweiten bzw. Dritten Nationalratspräsidenten Thomas Prinzhorn (FPÖ) und stieg unter Minister Hubert Gorbach (FPÖ) zum stellvertretenden Kabinettschef auf. Seit Frühjahr 2018 ist Reichhardt Mitglied im Aufsichtsrat der Asfinag sowie im ÖBB-Aufsichtsrat. APA/ROLAND SCHLAGER
Mit Thomas Starlinger übernimmt ein bisheriger Mitarbeiter des Bundespräsidenten die Funktion des Verteidigungsministers. Denn Alexander Van der Bellen machte Starlinger Anfang 2017 zu seinem Militär-Adjutanten. Der Generalmajor übernahm damit die Aufgabe des Verbindungsorgans des Staatsoberhaupts und Oberbefehlshabers zum Bundesheer. Zuvor war Starlinger vier Jahre lang Vize-Chef des Stabes beim multinationalen Kommando "Operative Führung Eingreifkräfte" in Ulm, wodurch er mit den aktuellen geopolitischen Entwicklungen mit Fokus auf den Balkan, Nahen und Mittleren Osten und Afrika sowie den Flüchtlingsbewegungen aus dem Osten und Süden Richtung EU bestens vertraut war. APA/HELMUT FOHRINGER
Ines Stilling, eine Juristin aus Graz, hat im Frauenministerium Karriere gemacht. Sie war im Büro von Frauenministerin Doris Bures, bei deren Nachfolgerin Gabriele Heinisch Hosek stieg sie zur Büroleiterin auf. 2012 macht Heinisch Hosek sie zur Leiterin der Sektion zwei (Frauenangelegenheiten und Gleichstellung) im Bundeskanzleramt. Diese Funktion behielt sie auch nach dem Regierungswechsel 2017 unter Bundeskanzler Sebastian Kurz. Stilling ist eine Verfechterin des Gender Mainstreaming und des „Gender Budgeting“ in den Ministerien. Sie gilt als pragmatische Linke. APA/HELMUT FOHRINGER
Die in Helsinki geborene österreichische Wirtschaftswissenschaftlerin Rauskala arbeitete seit 2007 im Wirtschaftsministerium und war dort Mitarbeiterin von drei ÖVP-Ministern: Johannes Hahn, Beatrix Karl und Karlheinz Töchterle. Von 2011 bis April 2015 leitete sie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften die Fachstelle für Public Financial Management. 2015 holte Reinhold Mitterlehner sie als Sektionschefin ins Wissenschaftsministerium. APA/HELMUT FOHRINGER
Habemus Kabinett: Die Übergangsregierung im Überblick
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger ist froh, dass durch die Übergangsregierung wieder Stabilität einkehrt. Dass gleich viele Frauen wie Männer in der Regierung vertreten sind, ist für sie "nicht nur sehr erfreulich, sondern auch längst überfällig". Meinl-Reisinger erwartet vor der neuen Regierung, dass sie das Land ordentlich und abseits von Parteipolitik verwaltet und - wo nötig - rasche Aufklärung vorantreibt.
Skepsis gegenüber Verkehrsminister Reichhardt
Für Peter Pilz von der Liste Jetzt hat die neue Bundeskanzlerin mit der Wahl des Vizekanzlers und des Innenministers klare Maßstäbe gesetzt: für Qualität und Unabhängigkeit. Pilz kritisierte aber auch Proporz auf der mittleren Ebene und den neuen Verkehrsminister Andreas Reichhardt als "Paintballminister". Pilz erwartet, dass insbesondere im Innenministerium schnell Fehler der Vergangenheit korrigiert werden. Dafür werde er dem Innenminister konkrete Vorschläge machen.
Die rasche Bildung der neuen Regierung und die Geschlechter-Parität begrüßten auch die Grünen. Ein Wermutstropfen und ein Risiko ist auch für die Grünen der FPÖ-Kandidat Reichhardt als Verkehrsminister. Bundesrätin Ewa Dziedzic nannte ihn einen "rechtsextremen Wehrsportübungs-Kollgen" von Heinz-Christian Strache und Gottfried Küssel. Der Rechtsextremismus-Experte des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW), Bernhard Weidinger, erklärte dazu, Reichardt sei nicht nur auf Fotos mit Strache bei wehrsportähnlichen Übungen zu sehen. Bei seiner Verbindung Zimbria habe es auch personelle Überscheidungen mit der früheren Volkstreuen außerparlamentarischen Opposition (VAPO) von Küssel gegeben.
Mit Kritik ist auch schon der neue Verteidigungsminister Thomas Starlinger konfrontiert. Milizverbands-Präsident Michael Schaffer zeigte sich mit dessen Bestellung unglücklich. Starlinger sei ein "Berufsheer-Hardliner" und komme "aus der wehrpolitischen Giftküche des Peter Pilz", kritisierte er.
Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer bot der Regierung die Unterstützung der Wirtschaft an. Auch die Industriellenvereinigung sicherte ihr volle Unterstützung zu. Greenpeace appellierte an die Regierung, beim Klimaschutz keinen Stillstand zu akzeptieren, und auch der WWF forderte Priorität für den Umwelt- und Klimaschutz.
Interviews "nur mit Fachjournalisten", keine neuen Gesetzesinitiativen: Brigitte Bierlein gibt ihrem Kabinett "Grundregeln für die Zusammenarbeit“ vor.
Das Kabinett von Kanzlerin Bierlein hat einen Bericht über die Arbeitsmarktdaten abzuarbeiten und streicht Sri Lanka von der Liste sicherer Herkunftsländer.
Sechs Frauen und sechs Männer sollen bis zum Neuwahltermin im Herbst die Geschicke des Landes leiten. Bundespräsident Van der Bellen gibt ihnen dabei drei Dinge zu bedenken.
Weniger Ministerien, keine Staatssekretariate, schlanke Kabinette: In ihrer ersten Pressekonferenz als Regierungschefin betont Brigitte Bierlein die Bedeutung des Dialogs und appelliert an die Jugend.
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