Bosnier in Wien: Gekommen, um zu bleiben

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Infolge des Bosnienkriegs (1992–1995) suchten laut UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR 90.000 Menschen Zuflucht in Österreich. 60.000 von ihnen sind nie wieder zurückgekehrt und fanden hier eine zweite Heimat.

Wien. Sarajewo begeht heute gleich zwei Jahrestage. Am 6. April gedenkt die bosnische Hauptstadt des 67. Jahrestages der Befreiung im Zweiten Weltkrieg. Am selben Tag begann 1992 die 1425-tägige Belagerung Sarajewos durch bosnisch-serbische Truppen. Der Krieg in Ex-Jugoslawien (1992–1995) trieb hunderttausende Menschen in die Flucht. Viele von ihnen suchten auch in Österreich Zuflucht. Die meisten kamen aus Bosnien-Herzegowina. Insgesamt wurden in Österreich laut UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR etwa 90.000 Menschen aufgenommen. Rund 60.000 von ihnen fanden hier eine zweite Heimat.

Ab 1992 wurden in Österreich im Rahmen der sogenannten „De-facto-Aktion“ Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina betreut. Mit 47.000 Kriegsvertriebenen, die teils in Privatquartieren, teils in sogenannten Großquartieren untergebracht waren, erreichte die Aktion im Sommer 1993 ihren Höchststand. Die Initiative garantierte den Flüchtlingen kein dauerhaftes Bleiberecht; das Innenministerium gewährte in Absprache mit den Ländern lediglich ein vorläufiges Aufenthaltsrecht auf Zeit. Immer mehr Flüchtlinge konnten in der Folge eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Die Bosnien-de-facto-Aktion wurde im August 1998 – drei Jahre nach Kriegsende – offiziell beendet. In diesen sechs Jahren war es etwa 60.000 Menschen aus Bosnien-Herzegowina gelungen, sich auch in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Laut Innenministerium sind rund 11.000 zurückgekehrt, der Rest in andere Länder weitergezogen. Mittlerweile leben in Österreich 131.000 Personen aus Bosnien und Herzegowina.

Farbe bekennen in Österreich

Einer von ihnen ist Seco Music aus Srebrenica. Der 46-jährige Lkw-Fahrer flüchtete im August 1992 mit seiner Frau und seinen beiden Kindern nach Wien. „Ich war zwar jung und hätte kämpfen können, aber ich hatte zwei kleine Kinder. Mein Vater konnte mich schließlich davon überzeugen, meine Familie und mich in Sicherheit zu bringen“, sagt Music. „Im Rückblick die richtige Entscheidung. Aus meiner Verwandtschaft wurden mehr als 20 Leute ermordet, darunter auch mein Vater.“ In den Monaten nach Kriegsbeginn sei die Todesangst allgegenwärtig gewesen. „Ständig hörte man Schüsse und Bomben, ich sah die Angst in den Augen der Männer und Frauen, die nicht wussten, ob sie am nächsten Tag noch leben werden.“

Mittlerweile, 20 Jahre später, fühle er sich in Österreich wohler als in Bosnien. Obwohl er ursprünglich vorgehabt habe, nach dem Krieg zurückzukehren. „Aber irgendwann haben wir uns in Wien eingelebt“, so Music. „Außerdem leben kaum noch Freunde und Verwandte von uns in Bosnien, viele wurden getötet, andere sind ausgewandert. Und um die wirtschaftliche Situation dort ist es auch nicht gut bestellt.“

Bereits im Teenageralter war Elvira Ziga, als der Bosnienkrieg ausbrach. Die 36-jährige IT-Teamleiterin ist in Wien geboren und aufgewachsen, ihre Eltern sind Ende der 60er-Jahre als Gastarbeiter von Bosnien nach Österreich gekommen. „Ich erinnere mich, wie mein Vater die ganze Zeit die Nachrichten im Fernsehen und Radio verfolgte, als Sarajewo belagert worden ist“, erzählt Ziga. „Plötzlich ging es nur noch um den Krieg. In meinem Freundeskreis wurden wir schlagartig mit unserem kulturellen und religiösen Hintergrund konfrontiert. Wir mussten alle Farbe bekennen und sagen, wer und was wir sind. Bis dahin war das nie ein Thema.“

Das sei so weit gegangen, dass sich die Konflikte zwischen den einzelnen Gruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien auch auf das Leben in Österreich übertragen hätten – Anfeindungen, Ausgrenzungen und Beschimpfungen inklusive. „Obwohl ich Wien nie als so spannungsgeladen empfunden habe wie andere Orte in Europa“, sagt Ziga. Die Mehrheit hätte sich an den politischen Auseinandersetzungen nicht beteiligt. „Bis heute ist das so. Die Ottakringer Straße in Wien, die auch als ,Balkanmeile‘ bezeichnet wird, ist ein gutes Beispiel dafür. Dort gibt es mindestens 60 Lokale, die von Bosniern ebenso besucht werden wie von Kroaten und Serben. Das funktioniert ohne Probleme.“

Kaum Probleme habe es auch mit den Österreichern gegeben. Zwar sei die aufkeimende Ausländerfeindlichkeit nicht zu übersehen gewesen. „Gleichzeitig gab es aber auch eine Trendumkehr, die Hilfsbereitschaft und das Mitgefühl der Österreicher waren enorm. Ich würde sogar sagen, dass die allgemeine Stimmung positiver war als heute.“

Nächstenliebe und Fremdenfeindlichkeit

Die schrecklichen Bilder vom Krieg am Balkan lösten in Österreich eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Der Erfolg der Aktion „Nachbar in Not“, die am 26.Mai 1992 ins Leben gerufen worden ist, übertraf alle Erwartungen. Bereits in der ersten Woche war die Finanzierung von 400 Lkw sichergestellt, nach sieben Wochen der 1000. Hilfstransport finanziert. Die Hilfsgüter – Lebensmittel, Medikamente, Hygieneartikel – wurden in Österreich gekauft. Immer, wenn 300.000 Schilling (21.800 Euro) Spendengeld eingegangen waren, startete ein Lkw – beladen mit 20 Tonnen Hilfsgütern. Der „Konvoi der Nächstenliebe“ sollte insgesamt zehn Jahre lang nicht abbrechen.

Der parallel zum Konvoi der Nächstenliebe anrollende Konvoi des Hasses und der Fremdenfeindlichkeit veranlasste im Jänner 1993 die FPÖ unter Jörg Haider zum Anti-Ausländer-Volksbegehren „Österreich zuerst“, das von 416.531 (7,35 Prozent der Wahlberechtigten) Österreichern unterzeichnet worden ist. Auch wenn die Beteiligung am Volksbegehren als Niederlage für Haider bewertet wurde, erreichte er mit seiner Partei bei den Nationalratswahlen im Jahr darauf 22,5 Prozent der Stimmen, ein Plus von 5,9 Prozentpunkten.

Auf einen Blick

Flüchtlingswelle. Am 6.April 1992 begann die Belagerung Sarajewos durch bosnisch-serbische Truppen. Während des anschließenden Bosnienkrieges wurden in Österreich etwa 90.000 Menschen aufgenommen. Auch die Asylgesuche stiegen Anfang der 90er-Jahre stark an. Die meisten Ansuchen wurden 1992 (897.000) und 1993 (794.000) registriert. Zum Vergleich: 1994 gab es 570.000 Gesuche, 1997 nur 414.000.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2012)

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