SPÖ: Eine Koalition mit Kurz ist die letzte Option

In die Regierung? Oder in die Opposition? Kanzler Christian Kern und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil wussten am Montag noch nicht, wohin die Reise geht.
In die Regierung? Oder in die Opposition? Kanzler Christian Kern und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil wussten am Montag noch nicht, wohin die Reise geht. (c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Christian Kern bekam das Mandat für Koalitionsgespräche mit allen Parteien. Viele Sozialdemokraten liebäugeln mit Rot-Blau. Erste Alternative ist nicht die ÖVP, sondern die Opposition.

Wien. Der fast schon ekstatische Jubel über den verteidigten zweiten Platz gefiel am Sonntagabend nicht allen Gästen im SPÖ-Festzelt neben dem Burgtheater. Hatte man nicht gerade den ersten Platz an die ÖVP verloren, nach elf Jahren im Kanzleramt? Und auch der kräftige Applaus, den sich Bürgermeister Michael Häupl abholte, als er auf der Bühne sagte, dass eine Koalition mit den Freiheitlichen für ihn nicht infrage komme, sorgte da und dort für Kopfschütteln.

In der SPÖ gibt es nämlich sehr wohl sehr viele, die sich vorstellen können, dass Christian Kern mit der FPÖ eine Regierung gegen Sebastian Kurz bildet – und Kanzler bleibt. Auch viele Freiheitliche wären dem nicht abgeneigt, war da zu hören. Zum Beispiel Generalsekretär Herbert Kickl, der noch immer von den schwarz-blauen Nullerjahren traumatisiert sei. Außerdem dürfe die SPÖ das Kanzleramt nicht kampflos aufgeben.

Offiziell wurde Kern am Montag von den SPÖ-Gremien mit einem Mandat für Koalitionsverhandlungen mit allen Parteien ausgestattet, also auch mit der FPÖ. „Wir wollen keine Türe zuschlagen“, sagte Kern nach den Sitzungen von Präsidium und Vorstand. Inoffiziell gibt es aber Präferenzen. Und eine Fortsetzung der Großen Koalition, noch dazu als Juniorpartner der ÖVP, steht eindeutig an letzter Stelle des SPÖ-Wunschzettels, weit abgeschlagen hinter der Oppositionsoption.

Nach außen wurde Einigkeit demonstriert, intern ist aber längst ein Richtungsstreit im Gange, dessen Ausgang völlig offen scheint. Hans Niessl etwa wünscht sich die SPÖ weiterhin in Regierungsverantwortung, wenn auch nicht um jeden Preis: „Wenn sich die SPÖ im Regierungsprogramm und in der Verteilung der Ministerien nicht wiederfindet, dann bin ich für die Opposition“, sagt er im Interview mit der „Presse“. Beim Koalitionspartner hat Niessl keine Präferenzen, das werde von den Inhalten abhängen. Michael Häupl dagegen will mit der FPÖ maximal reden, aber nicht regieren. Am Montag erinnerte er die SPÖ an den Parteitagsbeschluss gegen eine Verbindung mit den Freiheitlichen. „Wenn wir uns selbst nicht ernst nehmen, wer soll uns dann ernst nehmen?“ Das sieht auch die Sozialistische Jugend so.

Gespaltene Gewerkschafter

ÖGB-Präsident Erich Foglar wiederum sagte vor der Präsidiumssitzung: Der Wiener Bürgermeister habe seine Meinung, aber es gebe auch andere in der SPÖ. Später ließ Foglar über sein Büro ausrichten, dass er zu möglichen Koalitionen vorläufig nichts sagen wolle. Auch der Chef der roten Gewerkschafter (FSG), Wolfgang Katzian, möchte sich seine Meinung erst bilden, ist aber nicht gerade als großer Rot-Blau-Fan bekannt.

Der Chef der Bau-Holz-Gewerkschaft wird da schon deutlicher. Josef Muchitsch hält eine Regierungsbeteiligung der SPÖ für unwahrscheinlich. Nicht nur, weil er davon ausgeht, dass sich die ÖVP mit den Freiheitlichen einigen wird. Sondern weil es mit beiden Parteien kaum Übereinstimmungen in Verteilungsfragen gebe. Und gerade bei diesen Themen dürfe die SPÖ jetzt nicht klein beigeben. „Wenn wir wieder Wahlen gewinnen wollen, müssen wir unsere Inhalte durchsetzen – oder notfalls in Opposition.“

Nicht alle Kollegen teilen diese Meinung. Man müsse das Thema sehr pragmatisch angehen, meint ein hochrangiger Gewerkschafter. „Wenn wir in Opposition sind, dann sind wir weg, dann bestimmen wir nichts mehr.“ Und das tue der Sozialdemokratie „gar nicht gut“. Der ÖVP den Juniorpartner zu machen, sei „eine Möglichkeit – aber keine sehr realistische“. Er gehe davon aus, dass die SPÖ „die Hosen ziemlich herunterlassen muss“, wenn sie wieder mit der ÖVP koalieren wolle.

Und wenn man den Kanzler stellen kann in einer Koalition mit der FPÖ? Das sei auf jeden Fall „eine Möglichkeit“. Man könne die FPÖ nicht dauerhaft ausgrenzen, „diese Zeiten sind vorbei“. Ein SPÖ-Politiker verweist hingegen auf die Zerreißprobe, die Rot-Blau für die SPÖ bedeuten würde. „Das könnte zu einer Parteispaltung führen.“ Auch sei es schwer, mit der FPÖ auf eine Linie zu kommen: „Bei der Migrationspolitik etwa oder bei den Millionärssteuern, für die wir die ganze Zeit getrommelt haben. Die sollen wir einfach für eine Regierung mit der ÖVP oder der FPÖ aufgeben?“ Glaubwürdiger sei man in der Opposition. Ein anderes ÖGB-Vorstandsmitglied will sich am Tag nach der Wahl nicht festlegen: Man solle auf jeden Fall Gespräche führen: Möglich sei viel, auch eine Zusammenarbeit mit der FPÖ gegen die ÖVP.

SPÖ spricht Kern das Vertrauen aus

Am Dienstagabend treffen sich die roten Gewerkschafter im ÖGB-Hauptquartier, um die unterschiedlichen Strömungen unter einen Hut zu bringen. Ein Konsens zeichnete sich eher nicht ab. Auch in der SPÖ dürfte sich die Meinungsbildung noch hinziehen. In einem ist sich die Partei aber einig: Christian Kern soll bleiben. Die Gremien haben dem Parteivorsitzenden einstimmig das Vertrauen ausgesprochen. Kern will nun die Parteistrukturen überarbeiten. Dass es Änderungsbedarf gebe, sei im Wahlkampf evident geworden.

Bei der Besetzung der Bundesgeschäftsführung wollte er sich noch nicht festlegen. Bis zur Regierungsbildung blieben Andrea Brunner und Christoph Matznetter jedenfalls im Amt. Offen ist auch, wen die SPÖ ins Nationalratspräsidium schickt. Als Favoritin gilt Doris Bures, derzeit noch erste Präsidentin.

AUF EINEN BLICK

Die SPÖ-Gremien haben am Montag beschlossen, entlang des schon vorher festgelegten „Wertekompasses“ Koalitionsgespräche mit allen Parteien zu führen – sofern man dazu eingeladen wird. Der Beschluss im Parteipräsidium fiel einstimmig. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl ist gegen eine Koalition mit der FPÖ, nicht aber gegen Gespräche. Im Parteivorstand gab es zwei Gegenstimmen – von Vertretern der Sozialistischen Jugend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2017)

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