Zielgruppe Migranten: "Nächstenliebe klingt wie Hohn"

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Alles Bloedsinn Parteien MigrantenJagd(c) Michaela Bruckberger
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Die Parteien rittern um rund 534.000 Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund. DiePresse.com hat sich am Wiener Brunnenmarkt umgehört.

"Die FPÖ und Nächstenliebe, das klingt wie Hohn", sagt eine türkisch-stämmige Frau und meint damit ein Plakat von Parteichef Heinz-Christian Strache, das auf einem Ständer vor dem Eingang zum Wiener Brunnenmarkt steht. Auch zahlreiche Poster anderer Parteien finden sich hier, am Boden liegen zerknüllte Info-Broschüren. Das Terrain ist heiß umkämpft. Erst unlängst ging Parteigründer Frank Stronach hier auf Stimmenfang bei der türkischen Community. Ottakring gehört zu jenen Wiener Bezirken, wo der Anteil von Nicht-Staatsbürgern bzw. Personen mit ausländischem Geburtsort über 40 Prozent beträgt.

Bundesweit gibt es laut Statistik Austria rund 534.000 potenzielle Wähler mit Migrationshintergrund, exakt 8,6 Prozent aller Wahlberechtigten. Die Zahl der an wählbarer Stelle gelisteten Kandidaten mit Migrationshintergrund ist dagegen überschaubar. Bei der SPÖ etwa haben es vier Kandidaten mit Migrationshintergrund in die Top 100 der Bundesliste geschafft, auch auf den Landeslisten finden sich entsprechende Kandidaten, wie die türkisch-stämmige Nurten Yilmaz, die derzeit im Wiener Gemeinderat sitzt. 

Erstmals einen gläubigen Muslimen dürfte es nach der Wahl im Klub der ÖVP geben - und das, obwohl laut Sora-Institut muslimische Zuwanderer traditionell eher wenig mit einer christlich-sozialen Partei anfangen können, im Gegensatz zu Einwanderern aus katholisch geprägten Ländern wie Polen. Mit Asdin El Habbassi, Chef der Jungen ÖVP Salzburg mit Wurzeln in Marokko, könnte sich dies ändern. Er hat auf der Bundesliste Platz fünf ergattert. "Ein netter Kerl", sagt ein Gemüsehändler, "im Gegensatz zum Spindelegger, der ist so arrogant".

"Ich wähle Grün, meine Kinder den Strache"

Die FPÖ betont, keinen "Ausländerwahlkampf" zu betreiben, sondern "inländerfreundlich" um Stimmen zu werben - vor allem mit ihren "Nächstenliebe"-Plakaten. Inserate in fremden Sprachen werden abgelehnt. Ohnehin würden viele Ausländer die blauen Positionen teilen, etwa das Nein zu einem Vorrücken des Islamismus, wie Generalsekretär Herbert Kickl schon öfters festhielt. Am Brunnenmarkt teilen nur manche diese Sicht. "Ich wähle Grün, meine Kinder den Strache", erzählt der aus Indien stammende Sukhden Singh. "Sie sagen, es sind schon genug Ausländer hier. Ich sage: Ich bin gerne hier, habe Arbeit und ein schönes Leben. Warum sollen das nicht auch andere haben?"

Dieser Ansicht waren auch 64 Prozent von über 600 Nicht-Staatsbürgern, die sich am Dienstag zu einem inoffiziellen Urnengang aufmachten (insgesamt leben 835.038 Menschen in Österreich, die keine Staatsbürgerschaft haben). Bei der "Pass egal Wahl", organisiert von "SOS Mitmensch", erhielt die Öko-Partei die absolute Mehrheit, die FPÖ keine einzige Stimme. Kaum überraschend, dass bei den Grünen die türkisch-stämmige Migrationssprecherin Alev Korun praktisch fix wieder im Parlament Platz nehmen wird. Dem Zufall überlassen wollen die Grünen dennoch nichts. So werden Info-Broschüren in fünf verschiedenen Sprachen verteilt und zahlreiche Veranstaltungen der jeweiligen Communities besucht.

Der einzige "Zielgruppen-Wahlkampf", den das BZÖ nach eigenem Bekunden betreibt, ist jener in Richtung "leistungsbereiter Mittelstand". Der Geburtsort ist dem Bündnis dabei gleichgültig, auf "exotische" Kandidaten, wie die rumänisch-stämmige Unternehmerin Anda Luiza Pricop, will man aber nicht verzichten. Das Team Stronach verteilt indes seit Wochen eine Broschüre in Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, und wird nicht müde, die Geschichte von Parteigründer Frank Stronach zu zitieren, der selbst als Ausländer nach Kanada gekommen sei.

Ob die jeweiligen Strategien aufgehen, bleibt unsicher. "Ich geh gar nicht wählen, mich interessieren diese Kasperl nicht", gibt ein Student mit deutsch-österreichischem Background zu Protokoll - und ist mit dieser Einstellung nicht der Einzige am Yppenplatz. "Ändern tut sich eh nix", pflichtet ein Kollege mit türkischen Wurzeln bei.

Migration, seit 1986 ein Wahlkampf-Thema

Bei der letzten Nationalratswahl 2008 stimmten laut Sora Personen mit Migrationshintergrund übrigens überwiegend für die SPÖ (rund 49 Prozent), gefolgt von Grünen und  ÖVP (an die 16 bzw. 14 Prozent). Allerdings beruhen die Daten zum Teil auf Schätzungen.

Dass die Parteien im Wahlkampf auf die Themen Migration und Integration setzen (wie zuletzt FPÖ-Chef Strache im TV-Duell mit SP-Kanzler Faymann) ist hingegen Faktum. Kamen die Themen in den 1970er- und den 1980er-Jahren kaum vor, obwohl laut der Medienservicestelle Neue ÖstereicherInnen 1973 über 200.000 Gastarbeiter in Österreich lebten, änderte sich die Lage mit 1986. Ausschlaggebend dafür war laut der Studie der Einzug der Grünen ins Parlament sowie die Übernahme der FPÖ durch Jörg Haider. 1986 lag der Anteil des Themenfeldes Migration/Integration an den Wahlprogrammen bei durchschnittlich 1,8 Prozent. 1994 stieg der Anteil auf 10,4 Prozent, 2006 auf 13,4 Prozent. Die Themenführerschaft hatten dabei stets FPÖ, BZÖ, Grüne und das Liberalen Forum inne. SPÖ und ÖVP agierten zurückhaltender, wobei sich die Sozialdemokraten durchschnittlich liberaler als die Volkspartei positionierten.

(Red.)

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