Die Welt bis gestern: Eine kleine Frau, die eine große war

Rosa Jochmann: Arbeiterin, KZ-Opfer, antifaschistisches „Parteigewissen“.

Dies ist die Geschichte von einer kleinen Frau, die eine große war. Keine „Grande Dame“, wie das oft pathetisch geschrieben wird. Nein, eine Arbeiterin. Aber sie verkörperte in den Sechzigerjahren mit Josef Hindels und Karl Czernetz den unnachgiebigen kämpferischen antifaschistischen Flügel der Nachkriegs-SPÖ. „Niemals vergessen“: Das war für die Wiederaufbau-Sozialisten nur schwer nachzuvollziehen, hatten sich doch längst Tausende und Abertausende frühere Nationalsozialisten in den bergenden Schoß der SPÖ geflüchtet, wurden dort beschirmt und als „Geläuterte“ in den Arbeitsprozess wieder eingegliedert. Die wollten alles, nur nicht „daran“ erinnert werden.

Rosa Jochmann: 1901 im Arbeiterbezirk Brigittenau geboren. Als viertes von sechs Kindern eines Eisengießers und einer Wäscherin, die aus Mähren nach Wien gekommen waren. „Echte Wiener“, sozusagen.

Schichtarbeiterin, Nachtarbeiterin

Harald Troch, Historiker im Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, nennt als Wurzeln von Jochmanns sozialer und emotionaler Intelligenz ihre Kindheit. Nach dem Tod der Mutter, Rosa gerade 14, musste sie den väterlichen Haushalt führen, ihre jüngeren Geschwister versorgen und als Schichtarbeiterin in einer Süßwarenfabrik arbeiten, später in einem Kabelbetrieb, der unter Kriegsrecht stand und wo die Kinder auch zur Nachtschicht herangezogen wurden. „Wir hatten Zimmer/Küche. Schuhe durften wir nur zu besonderen Anlässen und im Winter tragen, sonst mussten wir barfuß gehen“, erzählte Jochmann oft (siehe nebenstehendes Zeitungszitat).

Die Sozialistin wurde hart. Lange, bevor sie durch die Gefängnisse und Konzentrationslager der Nazis gezerrt wurde. Über die Gewerkschaft stieß Jochmann bereits als 18-Jährige zu den Sozialdemokraten, wurde zum Betriebsratsobmann gewählt und wurde 1926 Frauensekretärin in der Chemiearbeitergewerkschaft. Sie ging ins Gefängnis, weil sie verbotene Flugblätter und Zeitungen illegal verteilte. Sie kam ins KZ wegen Hochverrats. Im Haftbefehl der Gestapo hieß es: „...durch ihr Verhalten gefährdet sie den Bestand und die Sicherheit des Volkes und des Staates, indem sie dringend verdächtig ist, sich auch heute noch im marxistischen Sinne zu betätigen, und bei Freilassung zur Befürchtung Anlass gibt, ihr staatsfeindliches Treiben fortzusetzen.“

Im Parteivorstand der SDAP

1933 – am letzten Sozialdemokratischen Parteitag für zwölf Jahre – war Jochmann in den Parteivorstand der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei gewählt worden. In der Nacht des 12.Februar1934 gehörte Jochmann zu denen, die Otto Bauer in einer Wohnung in Favoriten überzeugten, dass ein Verbleib in Österreich für ihn tödlich wäre. Er ging nach Prag, Jochmann blieb. Zwei Wochen später war sie Mitglied der Revolutionären Sozialisten (RS), nachdem die Sozialdemokratische Partei verboten worden war. Nach einer einjährigen Kerkerhaft setzte sie unverdrossen ihre Arbeit im Untergrund bis zu ihrer Verhaftung am 3.August1939 fort. Danach ein Jahr Gestapo-Haft, schließlich – im April 1940 – das KZ Ravensbrück.

Sie überlebte. Und kannte nur noch ein Lebensziel: warnen, aufklären, erzählen. In den Schulen tat sie das, aber auch bei ihren Wortmeldungen im Nationalrat, dem sie bis 1967 angehörte. Ein besonderer Dorn im Auge war ihr der rechtsextreme VdU-Abgeordnete Fritz Stüber (der später wegen „Rechtsabweichlertum“ aus der Fraktion ausgeschlossen wurde. Der Schriftsteller rächte sich in seinem Memoirenwerk „Ich war Abgeordneter“, indem er die ständig zwischenrufende Rosa Jochmann als „hasserfüllte Xantippe“ charakterisierte.

„Ich kann mich genau erinnern...!“

Als sie im Juli 1986 bei einer Feier zu ihrem 85.Geburtstag nach den vielen Reden und Dankesworten ans Rednerpult trat – weinte sie. Schlicht und einfach. Es war kurz nach der Angelobung Kurt Waldheims als Bundespräsident. Wenige Minuten später sprach sie mit klarer Stimme: „Es ist furchtbar, dass ich diesen Tag noch erleben musste, an dem ein Mann als Bundespräsident angelobt worden ist, der über seine Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus gelogen hat und sich nicht erinnern kann. Ich kann mich genau erinnern...!“

1994 meinte sie in einem Radiointerview: „Ich werde das Jahr 2000 nicht mehr erleben, dessen bin ich mir sicher. Aber eines wünsch' ich mir: Dass, wenn angestoßen wird und wenn der letzte Glockenschlag im neuen Jahr 2000 verklingt, die Menschen glücklich darüber sind, dass sie in einer friedlichen, in einer demokratischen Welt leben können. Das ist mein innigster und mein einziger Wunsch.“

„Das war nicht die naive Äußerung einer alten Frau“, meint Johanna Dohnal, „ganz im Gegenteil. Es war das Sehnen einer Demokratin, einer Sozialistin, einer unbestechlichen Mahnerin, für die Solidarität eben Solidarität war. Egal, ob es gegen die österreichischen Panzerlieferungen an Diktaturen in Chile oder Argentinien ging oder um die Parteinahme für Mitbürgerinnen und Mitbürger ohne österreichischen Pass. Es war der Ausdruck einer Frau, die in ihrem Kampf für Freiheit und Demokratie zu viel erlitten hatte, um schnoddriges Politmarketing mit Politik zu verwechseln, und deren Sensorium für Gerechtigkeit keinem Mainstream unterlag.“

Der Gewerkschaftstheoretiker Hugo Pepper rühmte an ihr, dass sie „ihr ganzes Leben lang Arbeiterfrau geblieben ist und angesichts aller politischen Würden und Funktionen nie ihre soziale Herkunft vergessen hat“.

Olahs interne Gegnerin

Sie war und blieb eine Parteisoldatin. Auch dann, wenn die Partei objektiv im Unrecht und in heikle interne Machtkämpfe verwickelt war. Der Ausschluss des allzu machtbewussten Innenministers und früheren Gewerkschaftspräsidenten Franz Olah 1964 geschah mit ihrer ausdrücklichen Billigung. Sie saß in allen Entscheidungsgremien, die damals in handstreichartiger Geschwindigkeit den Mann zu Fall brachten, der die Hand nach dem Parteivorsitz ausstreckte. Da galt die gemeinsame Leidenszeit im KZ nichts. Rosa Jochmann befürchtete – wohl nicht ganz zu Unrecht – das für sie Undenkbare: Dass Olah mit den Freiheitlichen paktieren könnte. Dieser unglaubliche Tabubruch sollte erst durch den jüdischen Großbürgersohn Bruno Kreisky erfolgen. Bitter für eine Sozialistin. Aber sie schwieg aus Parteiräson. Immerhin war sie ja seit 1967 Pensionistin. Die Stadt Wien verlieh ihr die Ehrenbürgerschaft.

Warnung vor dem Neofaschismus

Ihr Weltbild war einfach. Sie hielt nicht viel von programmatischen Diskussionen und den „Schreibtisch-Sozialisten“: Es sei doch recht einfach zu erklären, worum es gehe. Und sie verwies auf den mehr als hundert Jahre alten Text: „Was wir ersehnen von der Zukunft Fernen: / dass Brot und Arbeit uns gerüstet steh'n. / Dass unsere Kinder in der Schule lernen / und unsere Alten nicht mehr betteln geh'n.“ Das blieb ihr Credo.

Umso entsetzter verfolgte sie den rasanten politischen Aufstieg der Haider-FPÖ. Anfang 1993 empörte sie sich in einem Aufruf angesichts des FP-Volksbegehrens „Österreich zuerst“: „Ich habe gemeinsam mit Ausländerinnen und jüdischen Frauen großes Leid in der Nazizeit im Konzentrationslager ertragen müssen, und es ist für mich erschreckend und beschämend, dass in der heutigen Zeit rechtsextreme und faschistische Tendenzen wieder gesellschaftsfähig werden. Wir Sozialdemokraten müssen alles daransetzen, dass es für alle Menschen in unserem Lande möglich ist, in Frieden und ohne Hass zu leben.“

Ein Jahr später starb sie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2007)

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