Adelheid Popp: Sie war Viktor Adlers erfolgreichste Schülerin

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Eine sozialdemokratische Vorkämpferin für ein menschenwürdiges Leben der Österreicherinnen. Aus einer empörten Fabrikarbeiterin wurde eine gefeierte Rednerin und Parlamentarierin der Ersten Republik.

Unsere Frauen haben es alle nicht gut. Wir sind keine guten Ehemänner.“ Es war der Gründer der österreichischen Sozialdemokratie, Viktor Adler, der im Kreis vertrauter Genossen darüber sinnierte: „Wir haben Zeit für alle anderen Menschen, Zeit und Geduld, nur für unsere Frauen nicht. Wenn diese mit uns glücklich sein wollen, müssen sie schon sehr anspruchslos sein – oder sehr gute Parteigenossinnen.“

Adelheid Dworak (geb. 1869 in Inzersdorf) war beides. Sie war seit 1893 glücklich mit ihrem Ehemann Julius Popp (der freilich sehr früh starb). Und sie war eine mehr als nur „gute“ Parteigenossin. Adelheid Popp ist eine sozialdemokratische Vorkämpferin für Frauenrechte, und ist unter den ersten acht Parlamentarierinnen in die österreichische Zeitgeschichte eingegangen.

Die Voraussetzungen für eine herausragende politische Laufbahn waren denkbar schlecht: der Vater alkoholkrank, die Mutter nach 15 Geburten ausgezehrt. Als Zehnjährige musste die Tochter als Heim- und Fabrikarbeiterin zum Familienunterhalt beitragen. Lesen und Schreiben brachte sie sich selbst bei.

In der Korkfabrik staute sich die Wut auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der 17-Jährigen auf. Auf einer Parteiversammlung hielt sie ihre erste flammende Rede über die Situation der Arbeiterinnen. In den Wäschereien, Strickereien und Nähereien mussten Frauen von fünf Uhr morgens bis spät in die Nacht schuften; in einer Zündhölzchenfabrik fiel den länger beschäftigten Arbeiterinnen wegen des Hantierens mit giftigen Stoffen „das Fleisch vom Kiefer“, wie Adelheid Popp bei einer parlamentarischen Enquete empört berichtete.

1891 war Adelheid Popp schon Mitglied des Wiener Arbeiterinnen-Bildungsvereins, 1893 Vorsitzende des Lese- und Diskutierklubs „Libertas“. Man machte sie zur verantwortlichen Redakteurin der von ihr mitbegründeten „Wiener Arbeiterinnen-Zeitung“. Und das hatte Folgen. „1895 wurde ich angeklagt, und zwar wegen ,Herabwürdigung der Ehe und Familie‘, begangen durch einen Artikel ,Frau und Eigentum‘, schreibt sie in ihren Erinnerungen. „Obwohl Dr. Ingwer die Verteidigung glänzend führte und ich ebenfalls versuchte, das Problem ,Ehe und Familie‘ darzustellen, wurde ich von den Geschwornen einstimmig schuldig gesprochen und zu vierzehn Tagen Arrest, verschärft mit einem Fasttag in der Woche, verurteilt.“ Der Staatsanwalt fand nämlich, dass er es mit einer „intelligenten Dame“ zu tun hatte, die sehr wohl fähig war zu erkennen, „welche Verbrechen in dem Artikel enthalten waren“.

Die männlichen Genossen waren von dem Engagement Adelheid Popps alles andere als angetan. Mit der anonymen Veröffentlichung ihrer Kindheitserinnerungen „Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin“ (1909), die mehrfach übersetzt wurden, motivierte sie viele Arbeiterfrauen, sich der Sozialdemokratie anzuschließen. Auch ihre 1912 veröffentlichte Broschüre „Haussklavinnen“ fand reißenden Absatz.

Gegen hinhaltenden Widerstand der eigenen Parteiführung initiierte sie – gemeinsam mit Therese Schlesinger – 1902 den Verein sozialdemokratischer Frauen und Mädchen. 1918 war sie auch durch die Parteispitze nicht mehr aufzuhalten. Man berief sie in den Parteivorstand und setzte sie auf einen sicheren Listenplatz für den Wiener Gemeinderat, dem sie bis 1923 angehörte; von 1919 bis 1934 war sie auch Mitglied des österreichischen Parlaments.

Und sie hatte in beiden Körperschaften etwas zu sagen. Man hörte der begabten Agitatorin auf jeden Fall zu – Freund wie Feind. Schon 1896 verlangte sie – eine Kühnheit sondergleichen! – eine Art Quotenregelung. 1899 ging sie noch weiter und forderte, dass pro Wahlkreis eine Delegierte für die Parteitage aufzustellen sei.

Auf sich allein gestellt, unterstützt nur von einer Handvoll Mitstreiterinnen, setzte sich Adelheid Popp in den Kopf, zu Ostern 1898 die erste sozialdemokratische „Frauen-Reichskonferenz für Österreich“ einzuberufen. Geld von den Männern in der Partei gab es nicht dafür. Also schickte sie Sammelbögen im ganzen Land aus und wurde dafür vom Wiener Magistrat wegen unbefugter Sammeltätigkeit zu fünf Gulden Strafe verdonnert. Adelheid Popp protestierte: So viel könne sie nicht zahlen. Der Magistratsbeamte machte eine Ausnahme und fragte, was ihr die Sache wert sei: „Einen Gulden.“ Man einigte sich auf zwei.

Sie muss eine hinreißende Rednerin gewesen sein. Freilich blieben auch ihr die internen Spannungen quer durch die Partei nicht erspart, als 1914 der Weltkrieg ausbrach. Adelheid Popp zählte nicht zu den totalen Pazifisten der ersten Stunde. Im Gegenteil. Am Parteitag 1917 weigerte sie sich, eine Erklärung der linken Fraktion für einen sofortigen – einseitigen – Waffenstillstand Österreich-Ungarns zu unterschreiben. Die Einheit mit der deutschen Arbeiterschaft müsse unbedingt gewahrt bleiben, meinte sie.

Die blieb zwar gewahrt, doch der Krieg bedeutete für beide Staaten die Katastrophe. Und für die Arbeiterinnen hatte die Ausbeutung Formen angenommen, wie sie vor der Jahrhundertwende schon überwunden geglaubt waren. Adelheid Popp empörte sich nicht nur darüber, sondern vor allem über die strenge Zensur, der die „Arbeiter-Zeitung“ unterworfen war. 1917 klagte sie, dass man zwar ungehindert über das Leid der Munitionsarbeiterinnen Englands berichten könne, auch über den Streik der Gewehrmacherinnen in Frankreich, „ja man darf sogar schreiben über die Leistungen und Leiden der Arbeiterinnen in Deutschland, nur über das, was die Arbeiterinnen Österreichs leisten, leiden und dulden, soll Kirchhofsruhe verbreitet werden . . .“

Adelheid Popp blieb auf ihrer Linie und bemühte sich, die „Fraueninternationale“ wiederzubeleben. Jetzt konnte sie sich im Parlament den klassischen Frauenthemen zuwenden: Reform des Eherechts, Liberalisierung der Abtreibungsparagrafen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Sie führte – erfolgreich übrigens – einen Feldzug gegen die Behörden in Nieder- und Oberösterreich, als diese anfingen, Wöchnerinnen pfänden zu lassen, weil diese die Kosten für die Entbindung in der Gebärklinik nicht bezahlen konnten. „Die Behörden wollten sich das vierwöchige Krankengeld aneignen, das den Wöchnerinnen zukam!“ Mit einer Massenversammlung beim „Wimberger“ und mit Flugblättern konnte dies gestoppt werden.

Gleiche Arbeit, gleicher Lohn?

Was ihre Geschlechtsgenossinnen noch heute – oft vergeblich – predigen, sprach Adelheid Popp schon im Nationalrat der Ersten Republik aus: „Wenn theoretisch der gleiche Lohn zugestanden wird, versucht man doch, die Arbeit der Frau so zu qualifizieren, dass man sich daraus das Recht nimmt, sie minder zu entlohnen [. . .] So sicher es ist, dass es neben hochwertigen Männern minderwerte Frauen gibt, – so gibt es auch neben ganz minderwertigen Männern hochbegabte und hoch qualifizierte Frauen . . .“

Vieles sei schon erreicht worden, resümiert sie 1929: Frauen als Mitglieder im Nationalrat, im Bundesrat, in den Landtagen, den Gemeindevertretungen, „sie wurden Geschworne und Schiedsrichterinnen, Dozentinnen, Hofrätinnen, Regierungsrätinnen, nicht durch den Titel des Mannes, sondern kraft ihrer eigenen Stellung“. Manches sei noch anzustreben. Da sei ihre große Hoffnung die „neue Schule, die dem neuen Menschen dient“. Sie setzte ihre Erwartungen auf das sozialpolitische Experiment der Wiener Stadtverwaltung, auf das „Rote Wien“.

Gabriele Proft beschrieb ihre Kollegin in reiferen Jahren als „lebensfrohe Frau“, die ihre Lebenslust trotz der persönlichen Schicksalsschläge nicht verloren habe. Ihr Modebewusstsein und Sinn für Ästhetik, kecke Federn auf den Hüten und der damals moderne „Bubikopf“ hatten mit der biederen Parteigenossin wenig zu tun.

Privat war der Lebensweg düster. Ihr Mann Julius – ein Pionier der sozialdemokratischen Bewegung – starb 1902, acht Jahre nach der Eheschließung. Ihre Söhne verlor sie als Jünglinge: Einer starb als Soldat im Weltkrieg, der andere erlag einer Grippe.

So legte sie 1933 aus Altersgründen alle Funktionen zurück. Zwei Enttäuschungen musste sie noch miterleben: Das Verbot aller sozialdemokratischen Organisationen 1934 durch die christlich-soziale Regierung, dann 1938 die Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich. Am 7. März 1939 starb sie.

„Vorwärts! Aufwärts!“ So endet Adelheid Popps berühmtes Buch „Der Weg zur Höhe“, verfasst 1929. „Wir stehen in einer gewandelten Welt. Die Frau geht ihren Weg immer weiter aufwärts, sie geht ihn heute Seite an Seite mit dem Manne. Mit Riesenschritten holt sie nach, was sie in vergangenen Jahrhunderten ohne ihre Schuld versäumt hat!“ [Quelle: Elisabeth Koller-Glück]

1893 gründete Auguste Fickert mit Marie Lang und Rosa Mayreder den „Allgemeinen Österreichischen Frauenverein“. Sie forderten absolute staatsbürgerliche Gleichstellung, die Zulassung zu allen Bildungsstätten, gleiche Arbeit bei gleichem Lohn. Fickert setzte sich auch für Prostituierte ein und initiierte 1895 die erste Frauenrechtsschutzstelle.

1902 schuf Marianne Hainisch den bürgerlichen „Bund Österreichischer Frauenvereine“, ein Zusammenschluss von zunächst 13 Frauenvereinen in Österreich. Bis zur Auflösung des Bundes durch die NSDAP traten über hundert weitere Vereine bei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2012)

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