Folge 6/9: Warum man dieselbe Eigenschaft bei sich gut und beim anderen schlecht findet.
Angenommen, Sie bekommen die Aufgabe, den Finger eines anderen so stark zu drücken wie er zuvor Ihren Finger gedrückt hat. Dann werden Sie unbewusst immer fester zudrücken. Auch der andere wird seinen Druck stetig steigern, im Schnitt jeder um 40 Prozent pro Runde, bis jenseits der Schmerzgrenze. Dabei sind beide überzeugt, der jeweils andere hätte damit begonnen, nicht er selbst. Das nennt man die Asymmetrie der Wahrnehmung.
Genauso läuft das mit Eigenschaften, die Sie sich oder anderen zuordnen. Was bei Ihnen völlig in Ordnung ist („ich bin durchsetzungsstark“), ist beim anderen übertrieben („du bist rücksichtslos“). So können Sie immer die Schuld von sich weisen – und glauben das auch noch.
Noch ein Beispiel: Eine Abteilung will mehr Entscheidungsfreiheit, die andere straffere Regeln. Jede wird den Wunsch der anderen ins Negative drehen. Die Autonomen sind dann anarchistische Chaoten, die Pragmatischen angepasste Zwängler.
Es gibt eine einzige Lösungsmöglichkeit: Wenn beide einander nicht als Feinde sehen, sondern als Partner in der gemeinsamen Lösungssuche. Mehr dazu in der nächsten Folge.
Morgen in "Schöner Streiten": Der Werkzeugkasten, Part 1
Die Anregungen zu dieser Serie stammen aus dem Buch „Psychologisches Konfliktmanagement“ von Werner Schienle und Andreas Steinborn (Springer Verlag 2016).