Der Mann, der sich neu erfand

Porträt. Gerhard Blaboll arbeitete jahrzehntelang als Konzernmanager. Heute ist er Schriftsteller, Liederschreiber und Kabarettist. Und verwirklichter denn je.

Warum bleiben die Menschen lieber unglücklich, als daran etwas zu verändern? Weil sie sich eher mit dem vertrauten Schrecklichen anfreunden als mit dem unbekannten Neuen, antwortet Gerhard Blaboll (57). „Weil sie auf den richtigen Zeitpunkt warten. Aber der kommt nicht.“

Für Blaboll kam er doch. Unerwartet: Dem damaligen Sales Director von Hitachi Data Systems fiel nach einem Unfall ein Buch mit Interviews aus einer Palliativstation in die Hände. Auf die Frage „Was war das Wichtigste in deinem Leben?“ antwortete kein Einziger der Sterbenden, dass er immer seine Jahresziele erreicht hatte oder Überstundenkaiser im Unternehmen war.

Es waren ganz andere Sachen, erinnert sich Blaboll: „Dass einer sich getraut hat, um die Hand seiner Frau anzuhalten, obwohl die Eltern dagegen waren. Oder dass ein anderer sein erstes Auto aus Ersatzteilen zusammengebaut hat.“ Es komme nicht auf die Dinge an, denen wir nachlaufen, erkannte er. Und beschloss in derselben Sekunde, sein altes Leben abzustreifen.

Bauchweh am Morgen

Seit 2007 ist Blaboll nun Schriftsteller, Liederschreiber und Kabarettist. Er textet „Wienerisches“ etwa für Elfriede Ott, Reinhard Nowak, Peter Lodynski oder einst auch für den verstorbenen Karlheinz Hackl.

Er verdiene heute ein Zehntel von dem, was er zu seiner Zeit als Manager verdient habe, sagt er. Aber er könne gut davon leben, denn er habe „Gürtel und Hosenträger“ – gemeint sind Erspartes aus früheren Zeiten sowie das Einkommen seiner Frau als Sicherheitsnetz. Beides tastete er nie an.

Man muss Blabolls Geschichte kennen, um seine Entscheidung nachvollziehen zu können. Mit 14 Jahren nahm ihn der Vater aus dem Gymnasium und ließ ihn eine Feinmechanikerlehre machen. Die kinderreiche Familie brauchte einen Zweitverdiener. Plötzlich war der groß gewachsene Junge, bis dahin bei seinen Mitschülerinnen auch als Tanzpartner beliebt, wegen seiner schmutzigen Hände gemieden: „Dabei habe ich sie mit Reibsand gewaschen, bis sie bluteten.“

Lernen zu dürfen war mit einem Mal sehr viel wert. Blaboll holte die Matura nach, studierte Jus und BWL, machte einen MBA und Karriere im IT-Management. 35 Jahre später registrierte er an sich deutliche Symptome, genug von diesem Leben zu haben: „Ich hatte bei der Arbeit weniger Freude als Frust. Und Bauchweh am Morgen.“

Senator-Lounge auf Lebenszeit

Nach seinen Auftritten wird er heute oft von Menschen angesprochen, die ihr Leben ändern wollen, aber keine Idee für ein neues haben. Dabei wäre sie leicht zu finden, meint er, „immer, wenn bei einem Thema plötzlich die Augen aufleuchten“. Oder wenn man sich an seine Träume als Bursch oder Mädel erinnerte.

Auch so manche Partnerin – nicht seine – trage Veränderungen nicht mit, „weil sie erwartet, dass man Erfolge heimbringt. Da muss man sich aber fragen, ob die Partnerin die richtige ist.“ Oder sich mit Freunden absprechen, deren Urteil man schätzt. „Sie dürfen aber nicht zu nah sein. Die Objektivität wächst mit der Entfernung zum Problem.“

Es sei in Ordnung, meint Blaboll, wenn man sich letztlich doch für die Welt in Fünfsternehotels entscheide oder für die Senator-Lounge auf Lebenszeit (zu der er immer noch Zutritt hat). Denn unvermeidlich durchlebe man auch dunkle und unsichere Momente. Bei ihm kamen sie ein halbes Jahr nach dem Absprung. Doch irgendwann stand er vor der Frage, ob er lieber auf einer Kabarettbühne vor 30 Leuten spielen oder mit dem weltweiten Konzernvorstand essen gehen wolle. Er entschied sich für Ersteres: „Weil ich mir meiner Endlichkeit bewusst bin.“

ZUR PERSON

Gerhard Blaboll (57) lernte Feinmechaniker, holte die Matura nach, studierte Jus und BWL, machte einen MBA und absolvierte vor allem eine steile Karriere im IT-Management. 2007 ist er ausgestiegen, schreibt seither Bücher und kabarettistische Texte („Neue Wiener Lyrik“), die von namhaften Wiener Schauspielern vorgetragen werden. Blaboll tritt auch selbst auf Kleinkunstbühnen auf. www.blaboll.at

(Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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