Willkommen in der digitalen Parallelwelt

Internet der Dinge. Schuhe, die sich selbst den Transport zum Kunden organisieren; Windschutzscheiben, die Landkarten einblenden, und Rollstühle, die ihren Standort melden. Und was Loyalität mit dem Stockholm-Syndrom zu tun hat.

Diese Woche im Wiener Rathaus, am IoT-(Internet of Things-)Forum: Da ist von geringerer Kälbersterblichkeit die Rede, seit die Kühe auf der Weide vernetzt sind. Von Rollstühlen auf dem Amsterdamer Flughafen Schipohl, die in den endlosen Gängen dank Digitalsignal nun rasch geortet werden können. Von kroatischen Smart-Littering-Systemen, bei denen jeder Haushalt nur die Müllmenge zahlt, die er verursacht.
Alles, was digital werden könne, werde auch digital werden, postuliert Stargast und Eröffnungsredner Karl-Heinz Land. Er ist laut Eigendefinition digitaler Darwinist und Evangelist, im realen Leben Chef der deutschen Digitaltransformationsberatung Neuland. Alles, was vernetzt werden könne, werde vernetzt werden, setzt er fort. Und alles, was automatisiert werden könne, werde automatisiert werden. Am Beispiel selbstfahrender Autos: Die vereinen alle drei Komponenten.

Mehr und mehr werden Online- und Offline-Welt ineinanderfließen. Land spricht von realen Windschutzscheiben, die dem Fahrer digitale Karten und Verkehrsdaten ins Sichtfeld projizieren: „Das lässt sich dann nicht mehr trennen. Ich kann mich nicht mehr für die eine oder für die andere Welt entscheiden.“

Schon bald würden Türen nur mehr vereinzelt von realen Schlüsseln gesperrt: „In 25 Jahren gibt es einen identischen Zwilling dieser Welt. Die meisten Türen sperren dann digital.“

Geld von Handy zu Handy

Pässe werden von Identitätsservices abgelöst, Finanzdienste von der Blockchain. Dieses junge, immer lauter summende Buzzword meint Geldtransfers von Handy zu Handy, in Echtzeit (Geldeingang sofort) und ohne Intermediatoren wie Banken, Versicherungen oder Finanzdienstleister. Damit sind auch deren Gebühren obsolet. Bekanntestes Beispiel sind Bitcoins, viele weitere werden folgen. Berater handeln die Blockchain-Technologie als „the next big thing“. In drei bis fünf Jahren soll sie breitentauglich sein – mit fatalen Folgen für die Finanzbranche.

Doch leider, sagt der Digital-Evangelist, zwei Hürden stünden der schönen neuen Welt noch im Weg: zum einen die Zögerlichkeit der Unternehmen, insbesondere der europäischen KMU, die Digitalisierung vollumfänglich zu umarmen; zum anderen die Trägheit der Regierungen: „Amazon hat seine Auslieferungsdrohnen schneller bereit als die Regierungen die passenden Gesetze.“
Wenn dann alles dematerialisiert sei, visioniert Land, brauche es keine Fabriken mehr, keine Arbeiter und bald auch keine Angestellten. Wir würden zwar immer noch auf realen Sesseln sitzen und reale Kleidung tragen, doch auch deren Supply Chain wäre längst digitalisiert. Ein in China produziertes Paar Schuhe „wisse“ dank elektronischer Marke an der Schachtel, dass es in zwei Tagen in Wien erwartet werde, und organisiere sich rundumvernetzt den Transport im günstigsten Verkehrsmittel selbst: „Da ist dann keine menschliche Interaktion mehr nötig.“

Geht es nach Land, wird niemand traurig über den unvermeidlichen Jobabbau sein: „Um 1900 haben wir 80 Wochenstunden gearbeitet. Die gehen uns auch nicht ab.“ In 30 Jahren, schätzt er, kommen wir ohne Arbeit aus. Schon heute unterstellt er loyalen Mitarbeitern eine Art Stockholm-Syndrom: „Die reden sich nur ein, ihre Arbeitgeber lieben zu müssen.“

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