Todsünden im Recruiting: „32°C und nichts zu trinken“

Wie erleben Jobsuchende den Recruitingprozess? Eine Umfrage beleuchtet Vorstellungsgespräche aus Bewerbersicht.

„Bewerbungsgespräch“, „Vorstellungsgespräch“, „Jobinterview“. In den Begriffen kommt ein Machtverhältnis zum Ausdruck. Bewerber „bewerben“ sich, „stellen sich vor“ oder lassen sich „interviewen“, um einen Job zu ergattern. Der „längere Hebel“ liegt also auf der anderen Seite. Doch ist das wirklich noch so? Längst suchen sich auf etlichen Arbeitsmärkten die Kandidaten ihre Arbeitgeber aus, nicht umgekehrt. Eine Umfrage der E-Recruitingplattform softgarden zeigt: kandidatenorientierte Interviews kommen mittlerweile vor, aber ebenso „peinliche Befragungen“ durch Inquisitionstribunale und nachlässig absolvierte Pflichtübungen.

Auf welche Aspekte legen Kandidaten aktuell in ihren Vorstellungsgesprächen besonderen Wert? Für eine große Mehrheit der Kandidaten (79,4 Prozent) hat eine „angenehme Gesprächsatmosphäre“ eine besonders hohe Priorität. Gleiches gilt für einen „hohen Informationswert“ des Gesprächs (72,8 Prozent) und die „Augenhöhe“ in der Gesprächsführung (72,1 Prozent).

Reden wir über den Job

„Worüber sollte bei einem Bewerbungsgespräch aus Ihrer Perspektive vor allem gesprochen werden?“ Hier lag bei den befragten Kandidaten mit 76,1 Prozent vor allem die Frage nach der Aufgabe im Unternehmen vorn. Aber auch die Anforderungen an die Position wurden mit 61 Prozent hoch priorisiert. Für fast die Hälfte der Kandidaten (49,7 Prozent) stellen die mit der Position verbundenen „Entwicklungschancen“ ein sehr wichtiges Thema fürs Jobinterview dar.

Entwicklungschancen bleiben unbeleuchtet

In der Praxis bleiben diese Themenwünsche der Kandidaten zum Teil unerfüllt. „Denken Sie an das letzte Bewerbungsgespräch, das Sie geführt haben. Worüber wurde vor allem gesprochen?“ Nur bei einem Drittel der Kandidaten bildete die Aufgabe einen eindeutigen Schwerpunkt. Bei den „Entwicklungschancen“ waren es nur 13,9 Prozent. Die große Mehrheit der Bewerbungsgespräche kommt offenbar derzeit ohne einen Ausblick auf Entwicklungsmöglichkeiten des Kandidaten aus.

Todsünden bein Recruiting

Welche Eindrücke bleiben bei den Bewerbern aus ihren Vorstellungsgesprächen haften? In einem Freitextfeld berichteten die Teilnehmer über ihre individuellen Erlebnisse bei konkreten Vorstellungsgesprächen. Es zeigt sich, dass viele der von Personalern monierten Bewerber-Todsünden im Verhaltensrepertoire von Recruitern und Hiring Managern vorkommen.

Mit Fragen ausgezogen

Das gilt für fehlende Pünktlichkeit ebenso wie für mangelnde Vorbereitung. Gastfreundschaft wird offensichtlich nicht in allen Unternehmen großgeschrieben: „32°C, Gespräch in der 5. Etage, nichts zu trinken angeboten bekommen“, berichtet ein Teilnehmer. Auch auf „mangelnden Augenkontakt“ sowie die fehlende Zeit, um die eigenen Fragen ans Unternehmen loszuwerden, weisen die Berichte der Bewerber hin. Auf der anderen Seite stehen die bohrenden Fragen der Personaler, mit denen sie in die Untiefen der Bewerberpersönlichkeit vordringen möchten: „Auseinandernehmen meiner Person, fast ausgezogen mit Fragen,“ heißt es in einem Bericht.

Ungeduldige Kandidaten

Die Umfrage zeigt, dass Jobsucher in den vergangenen Jahren ungeduldiger geworden sind, was die Geschwindigkeit des Bewerbungsverfahrens angeht. Aktuell räumen 71,1 Prozent der Bewerber Arbeitgebern zwei Wochen oder weniger ein, um nach der schriftlichen Bewerbung zum Gespräch einzuladen oder abzusagen. 2014 waren es 57,3 Prozent.

Augenhöhe, Wertschätzung, Transparenz

"Unternehmen, die auf der einen Seite ihre Kunden hofieren und dann Bewerber über den Lieferanteneingang empfangen, sollten schleunigst umdenken", sagt Mathias Heese, Geschäftsführer von softgarden. „Jobkandidaten im digitalen Zeitalter erwarten Augenhöhe, Wertschätzung und Transparenz. Machen sie im Bewerbungsprozess ganz andere Erfahrungen, so wenden sie sich wieder ab. Unternehmen riskieren darüber hinaus Imageschäden in Form von schlechten Bewertungen auf Arbeitgeberbewertungsportalen.“

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