Jetzt kommt die Nonstop-Arbeitswelt

Lektüre. Work-Life-Blending, sagt Christian Scholz, sei nichts anderes als eine Mogelpackung. In seinem neuen Buch erklärt der HR-Professor, dass sich dahinter ein 24-Stunden-Arbeitstag versteckt.

Er hat Standardwerke für HR-Manager verfasst. Wissenschaftlich und gleichzeitig lebendig, aber nie aufgeregt. Doch diesmal ist Christian Scholz, Professor an der Universität des Saarlandes richtiggehend emotional. Der gebürtige Oberösterreicher geht dem Phänomen Work-Life-Blending auf die Spur. Und kommt zu einem klaren Schluss: Hinter Work-Life-Blending versteckt sich nicht eine schöne neue Arbeitswelt, sondern lediglich eine Mogelpackung.

Work-Life-Blending ist der fließende Übergang zwischen Beruf und Privatleben und steht auf dem Wunschzettel vieler Unternehmen ganz oben. Um es praktisch auszudrücken, sagt Scholz: „Berufliches wird auch nach Feierabend erledigt oder die Freizeit mit den Kollegen verbracht.“ Work-Life-Blending sei seiner Meinung nach gleichzusetzen mit „work around the clock“ oder „non-stop working“: Der Mitarbeiter lebt am Arbeitsplatz und für die Arbeit. Denn es bedeute auch: „work first“.

Gefährliche Rhetorik

„Die Debatte um Digitalisierung, Flexibilisierung und vor allem Work-Life-Blending ist raffiniertes Framing“, sagt Scholz, deshalb würden sich die Menschen auch nicht wehren, werden sie doch durch geschickte Rhetorik förmlich eingekocht. So werde die Digitalisierung als Tsunami bezeichnet, als Naturgewalt, die nicht zu stoppen ist, als etwas, was unausweichlich ist. Wer nicht mitmache, dem wird vorgehalten, er kopple sich vom Zug ab und verpasse den Anschluss. Dabei sollte es umgekehrt sein: Die Digitalisierung müsse das Ziel haben, die Lebensbedingungen zu verbessern.

„Work-Life-Blending läuft als ultimative Universallogik der Digitalisierung auf völlige Abschaffung aller Grenzen hinaus“, sagt Scholz.

Das gilt auch für die Flexibilisierung. Wenn vom „Korsett der Präsenzkultur“ die Rede sei, werde damit das Bild vermittelt, am Arbeitsplatz zu sein erzeuge automatisch Unfreiheit.

Ähnliches gelte, wenn über eine „Reform der Arbeitszeit“ gesprochen werde. „Wer will schon gegen eine Reform sein?“, fragt er. Und mit „Freiheitszonen“ sei nichts anderes gemeint als ein Regime ohne staatliche oder gewerkschaftliche Einmischung. „Spätestens wenn Arbeitgeber das Work-Life-Blending als Entgegenkommen darstellen können, haben sie die Spitze des Berges und den Status ,Mogelpackung‘ erreicht“, sagt Scholz.

„Work-Life-Blending klingt vielleicht gut, ist es aber vielleicht gar nicht.“ Sondern sei ein Mechanismus zur Selbstausbeutung. Auch körperlich. Denn diese unausgesprochene, permanente Rufbereitschaft könne belastend sein: „Allein das Gefühl, ich könnte angerufen werden, macht Entspannung schwierig.“

Die verbleibende Freizeit, in der man überspitzt formuliert die beruflichen Mails checke, nur als Erholung für die Arbeit zu sehen, erlebt Scholz als Rückschritt in die frühindustrielle Zeit.

42 kräftige Stupser

Und nein: Scholz ist nicht zum pessimistischen Grantler geworden, er liefert dann doch auch Ansätze, wie es anders gehen könnte: In den Kategorien Smart City, Unternehmen, Bürowelt, Personalabteilung, Tages- und Wochenarbeitszeit und Lebenszeit sowie Aktion liefert Scholz Ideen und Gedanken für Stadtplaner, Manager, Innenarchitekten, Personal- und Organisationsentwickler und natürlich für alle Arbeitswilligen. Da sind teils harsche, teils visionäre Forderungen dabei.

Und eine, die nach rund 200 Seiten Lektüre nicht überrascht, aber trotzdem so explizit niedergeschrieben nicht fehlen durfte: „Wir sollten Work-Life-Blending als Unwort etablieren.“

(Print-Ausgabe, 28.10.2017)

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