Durchgeschwindelt: Tarnkappen für (gute) Ideen

Unternehmen wollen kreativ und innovativ sein. Sagen sie. In Wahrheit ringen viele Organisationen, aber auch viele Mitarbeiter neue Ideen beharrlich nieder. Manche der Ideen überleben dennoch.

Alles Neue hat einen Feind: die alten Beharrungskräfte. Oder anders gesagt: den tief sitzenden Wunsch, Routinen, Regeln und Normen so zu belassen, wie sie sind. Um sie zu schützen, wird versucht, alles Neue, ob gut oder schlecht, im Keim zu ersticken. Dieser Automatismus ist so stark, dass er sogar dann greift, wenn das Neue das Überleben sichern könnte.

Der Grund, postuliert der emeritierte Stanford-Professor James G. March: Menschen werden der Exploitation (dem Ausbeuten von Bestehendem) immer den Vorzug gegenüber der Exploration (dem Entdecken von Neuem) geben.

Es gibt aber eine Variation: Liegt die potenzielle Belohnung zeitlich oder räumlich sehr nah und ist sie verlockend genug, könnte die Neuerung eine Chance bekommen. Aber nur dann.

March widmete seine lange wissenschaftliche Karriere an der Stanford University der analytischen Organisationsforschung. Er untersuchte Prozesse, die zwar jeder kennt. Mit seinen wissenschaftlich-philosophischen Betrachtungen verleiht er ihnen aber eine neue Perspektive.

Gegen jede Logik

Denn ungeachtet aller Innovationsaufrufe, kämpfen Individuen und Organisation gegen das Neue an, hat er herausgefunden. Die Mehrzahl aller Neuerungen geht damit unter. Ein paar Ideen aber schlüpfen durch und schleichen sich unauffällig in die Organisationen ein. Warum ist das so? March identifizierte ein paar Tarnkappen, mit deren Hilfe neue Ideen allen Eliminierungsversuchen entgehen.

  • Anpassungskombination. Das Neue überlebt, weil es eine Kombination altbekannter und vertrauter Elemente ist. Bestes Beispiel sind die Mendel'schen Regeln der Vererbungslehre.
  • Trittbrett-Theorie. Das Neue hängt sich an eine erfolgreiche Idee und fährt sozusagen per Anhalter mit.
  • Adaptive Ineffizienz. Die Organisation will zwar peinlich genau Fehler vermeiden, übersieht aber welche. Die Finanzkrise ist so ein Beispiel: Gier und Gruppendruck waren größer als jede Vernunft.
  • „Organisatorischer Schlupf“. Hier lässt die Aufmerksamkeit im Lauf der Zeit nach. Start-ups kennen das: Haben sie erste Erfolge eingefahren, schauen ihnen die Investoren nicht mehr so genau auf die Finger.
  • Übertriebener Optimismus. Häufige, aber wenig bekannte Falle in Innovationsabteilungen: Je mehr Ideen vorliegen, desto optimistischer werden die Mitarbeiter (und auch die Führungskräfte). Ein paar brauchbare werden schon dabei sein, denken sie. Das begünstigt vor allem jene Ideen, für deren Realisierung und Konsequenzen keine verlässlichen Informationen vorliegen.
  • Führungshybris. Hier spielt die Selbstüberschätzung bislang erfolgreichen Managern einen Streich. Sie schreiben dann ihre Erfolge ihrer Begabung zu, werden wagemutig und fördern riskante Ideen – selbst wenn nichts auf deren Qualität hinweist. Das kann in einem Überraschungscoup enden – muss es aber nicht.
  • Unspezifische Etikettierung. Zuletzt ein psychologischer Mechanismus, wenn Menschen feststellen müssen, dass sich eine Abweichung unbemerkt durchgesetzt hat: Sie verpassen ihr einfach ein neues Etikett. Passt etwa ein Mensch in keine Schublade, heißt es dann: „Was für ein Genie!“ Oder: „Was für ein Idiot!“

(Print-Ausgabe, 04.11.2017)

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