Die unterschätzten Emotionen

Marin Goleminov
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Bei aller Methodenverliebtheit und dem Trend zur Sachlichkeit sollte die Macht der Emotionen nicht übersehen werden, sagt Organisationsentwicklerin Barbara Heitger.

Drei Kräfte beschäftigten Unternehmen derzeit massiv: erstens der Effizienzdruck durch die (asiatische) Konkurrenz, zweitens der Innovationsdruck durch technische Entwicklung und digitale Transformation, sagt Organisationsentwicklerin Barbara Heitger, Geschäftsführerin Heitger Consulting – Essential Change & Leadership by KPMG. Sie wird als Referentin beim Wirtschaftstrainerkongress am 24. und 25. Mai in Wien zu Gast sein.

Die dritte Kraft komme aus den Unternehmen selbst. Denn sie hätten lange mit Kompliziertheit auf Komplexität reagiert – statt mit Flexibilität. Und damit vernachlässigt, was unter „Fahren auf Sicht“ verstanden wird: das Big Picture zu zeichnen, Mitarbeiter zu ermächtigen, auf Marktnähe zu setzen und dann Schritt für Schritt voranzukommen, statt endlos zu planen.

Zeit zum Querdenken

Wenn Unternehmen mit den klassischen Managementkonzepten weitermachen, sind Selbstverkomplizierung und Übersteuerung die Folgen. Dabei gebe es von Älteren wie Jüngeren eine „Sehnsucht nach Eigenwirksamkeit“ – statt sich in endlosen Prozessen und interner Politik zu verlieren. Zwei Arbeitsmodi würden Unternehmen in dieser Situation zur Verfügung stehen, sagt Heitger:

► Exploit: also Dinge rasch und effizient umzusetzen und Kosten nach unten zu drücken, und

► Explore: Das meint, sich Zeit zu nehmen, um Optionen zu entwickeln – für neue Strategien, Geschäftsmodelle, Organisations- und Führungsmodelle.

„Unternehmen müssen sich in beiden Modi stärken, beide gleichzeitig leben“, sagt sie. Im Exploit-Modus haben Unternehmen in den vergangenen Jahren viel geschafft, im Explore-Modus gibt es viel weniger Routinen, sich Time-outs fürs Querdenken zu nehmen. Das heißt, aus der Routine auszubrechen – andere Lösungen als die vertrauten zu finden. Heitger nennt ein Beispiel: Gehe es darum, zehn Prozent einzusparen, könne man auch fragen: „Wie können wir um 30 Prozent wachsen?“ oder „Wie können wir 50 Prozent einsparen?“. Fragen aus denen klar wird, dass Lösungen radikal anders sein müssen.

Vielen Unternehmen nutzen Agilitätskonzepte, um sich auf Fahren auf Sicht einzustellen. Berater wie auch Inhouse-Experten hätten einen regelrechten Agilitätshype ausgelöst: Scrum, Design Thinking, Holacray etc. haben vielversprechende Elemente. Doch werden sie nicht mit der DNA des Unternehmens verknüpft, laufen sie Gefahr lediglich wie „Botox für Unternehmen“ zu wirken.

Es gelt aufzupassen, nicht nur Oberflächenkosmetik zu betreiben, wenn man sich agiler Methoden bediene, sagt Heitger. Es reiche nicht, einzelne Methoden streng formal einzusetzen ohne sie mit Führung und Organisation abzustimmen. Da könne systemische Beratung, die mit agilen Methoden vertraut ist, viel leisten.

Die Kraft der Emotionen

Viele dieser Methoden sind ergiebig, weil Ränkespiele wenig Platz haben, und alle Kraft dem Sachargument gilt. Doch gleichzeitig gehe die Kraft der Emotion verloren, sagt Heitger. Sie sollte man als Information nutzen: Warum reagiert jemand auf ebendiese Weise auf einen Vorschlag? „Vor allem in der digitalen Transformation wird die emotionale Komponente oft unterschätzt.“ Sie produktiv zu bearbeiten, ist der große Leistungsvorteil von Teams.

In der Zeit des Umbruchs – besonders, wenn Berater ins Haus kommen – liege viel Verantwortung bei den Teamleitern und -mitgliedern. Denn sie müssten – jeder für sich – und als Team folgende Fragen beantworten:

► Wie kann das Bild unserer „desired future“ aussehen und wo stehen wir heute?

► Was möchten wir in relevanten Stakeholderrelationen bewirken?

► Was ist jedem im Team persönlich wichtig? Wie wollen wir zusammenarbeiten, wenn der Wind rauer wird?

► Wo haben wir auf dem Weg dorthin den meisten Rückenwind/die größten Stolpersteine?

Auf einen Blick

Barbara Heitger ist Geschäftsführerin von Heitger Consulting – Essential Change & Leadership by KPMG, systemische Unternehmensberaterin und Gruppendynamiktrainerin. Sie ist außerdem Referentin beim Wirtschaftstrainerkongress am 24. und 25. Mai in Wien. Infos, Tickets unter: wtk2018.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2018)

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