„Ältere werden Forderungen stellen“

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Generation 50 plus. Ältere Menschen kämpfen auf dem Arbeitsmarkt mit dem Vorurteil, weniger produktiv als die Jüngeren zu sein. Warum das ihrer Gesundheit und der Wirtschaft schadet.

Wer mehr Bildung hat, lebt länger. Dass Bildung und Lebenserwartung zusammenhängen, ist schon länger bekannt. Laut dem EU-Statistikamt Eurostat haben Menschen mit Hochschulabschluss eine höhere Lebenserwartung als jene mit Grundschulausbildung. Denn wer mit Bildung in Berührung kommt, weiß statistisch gesehen besser, wie er einen gesunden Lebensstil pflegt. Ausschlaggebend ist aber nicht nur schulisches Wissen, sondern auch der Erhalt der kognitiven und körperlichen Fähigkeiten. Die Möglichkeit zu arbeiten leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

Daniela Weber von der Abteilung Health Economics and Policy der WU Wien untersucht aktuell, wie viele gesunde Arbeitsjahre die Menschen im europäischen Vergleich haben.Die Working Life Expectancy definiert, wie viele Arbeitsjahre eine Person im Durchschnitt noch erwarten darf.

Alter ist nicht gleich arbeitsfaul

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass zum Beispiel im Jahr 2015 eine 50-jährige Frau in Österreich innerhalb der nächsten zehn Jahre noch durchschnittlich sieben im Berufsleben stehen wird. Während sie gleichzeitig die vollen zehn Jahre in guter kognitiver und körperlicher Gesundheit erwarten kann“, sagt Weber. „Wir nützen das gesundheitliche Potenzial ökonomisch gesehen also nicht aus.“ Laut Statistik Austria stellte die Altersgruppe 50 plus im Jahr 2015 30,24 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Im Jahr 2020 wird es ein Drittel sein – der Anteil steigt bis dahin kontinuierlich.

Auf einen Blick

Best Ager ist ein Begriff aus dem Marketing für Menschen ab 50 Jahren. Auf dem Arbeitsmarkt ist ihr Alter ein Nachteil, obwohl die Forschung zeigt, dass ältere Arbeitskräfte nicht zwingend weniger produktiv und gesundheitlich fit sind. Die Wirtschaft nutzt dieses Potenzial ökonomisch nicht aus. Setzen Unternehmen weiter auf den „Golden Handshake“, wird es eine Arbeitskräfteknappheit geben.

Die Personalpolitik vieler Unternehmen steht im Widerspruch zu dieser Entwicklung. Denn auf dem Arbeitsmarkt halten sich Vorurteile über die abnehmende Leistungsfähigkeit älterer Menschen. Deshalb verjüngen viele Unternehmen ihre Belegschaft. Die Defizithypothese des Alterns, also die Vermutung eines natürlichen altersbedingten Abbaus von Fähigkeiten, hält wissenschaftlich nicht stand.

Am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik untersuchte das Forschungsteam rund um Axel Börsch-Supan den Zusammenhang zwischen Alter und Produktivität im Werk eines deutschen Automobilherstellers. Das Ergebnis: Die Produktivität nahm zwischen dem 25. und dem 65. Lebensjahr zu. Der Abbau von Muskelkraft wurde durch die mit dem Alter wachsende Erfahrung und die Fähigkeit, effizient im Team zu arbeiten, kompensiert.

Einstellungssache

Weltweit gibt es bei Jungen wie Alten ein ähnliches Muster, was man sich von der Arbeit erwartet. „Man wünscht sich finanziellen Erfolg, persönliches Wachstum und eine gute Work-Life-Balance“, erklärt Wolfgang Mayrhofer, Professor am Interdisziplinären Institut für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management der WU.

Ältere Arbeitskräfte seien genauso motiviert wie junge, diese Ziele zu erreichen. Ist man über 50, habe man derzeit aber praktisch keine Chance, eingestellt zu werden. Das gelte für wenig wie besser Qualifizierte. „Betreiben Unternehmen weiter eine Golden-Handshake-Politik, wird es wie in den 1970er-Jahren wieder eine Arbeitskräfteknappheit geben“, prognostiziert Mayrhofer. Jedes Unternehmen sei gefragt, eine hoch individualisierte Personalpolitik zu entwickeln.

Klar sei, dass jemand nicht so lang auf dem Bau arbeiten könne wie jemand, der im Labor steht. Deshalb brauche es für Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Lösungen. Auch die Politik werde auf die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt reagieren müssen: „Ältere Menschen machen einen immer größeren Teil der Wähler aus. Sie werden Forderungen stellen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2018)

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