Folge 9. Claudia L. ist Vertriebsleiterin mit zahlreichen Freiheiten. Als sie gekündigt wird, erfährt sie, dass sie keine "normale" Angestellte war.
Claudia L. ist Vertriebsleiterin eines mittelständischen Handelsunternehmens. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung erlaubt ihr die Geschäftsführung, Außendienstmitarbeiterinnen selbst einzustellen und zu kündigen, Urlaube einzuteilen, Überstunden anzuordnen und Verkaufsziele und Boni festzulegen. Sie selbst genießt aufgrund ihrer Vertrauensstellung jegliche Freiheit bei der eigenen Dienstverrichtung – und ein überdurchschnittliches Gehalt. Als sie vom neuen Junior-Chef gekündigt wird und sich dieser unter Hinweis auf die Gleitzeit-Betriebsvereinbarung erstmals sogar weigert, geleistete Überstunden zu zahlen erfährt sie, dass sie keine „normale“ Angestellte ist.
Vielmehr ist Claudia L. eine "leitende" Angestellte. Die gesetzlichen Bestimmungen betreffend Überstundenarbeit, Ruhezeiten und Höchstgrenzen der Arbeitszeit gelten für sie nicht. Aber auch der allgemeine Kündigungsschutz und das Betriebsvereinbarungsrecht sind nicht anzuwenden.
Die Kriterien für die Eigenschaft als leitende Angestellte sind in den einschlägigen Gesetzen unterschiedlich geregelt. Im Arbeitszeitrecht gilt als leitende Angestellte, wer maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich wahrnimmt. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der übertragene Aufgabenbereich eine Bindung an fixe Arbeitszeiten im Ergebnis nicht zulässt und sich die leitenden Angestellten daher ihre Arbeitszeit weitgehend selbst einteilen können.
Üblicherweise wird auch ein überdurchschnittliches Entgelt bezogen. Diese Voraussetzungen liegen bei Claudia L. vor. Auf das Arbeitszeitgesetz kann sie daher ihre Forderung nach einer Abgeltung der geleisteten Überstunden nicht stützen.
Weitere Voraussetzung "Personalhoheit"
Um allerdings auch den allgemeinen Kündigungsschutz zu verlieren, müssen noch weitere Voraussetzungen vorliegen. Eine leitende Angestellte für Zwecke des Betriebsverfassungsrechts ist Claudia L. nämlich erst dann, wenn ihr weitgehende „Personalhoheit“ zukommt, sie also im Ergebnis eine dem Unternehmensleiter gleichwertige Position ausübt.
Diese Personalhoheit manifestiert sich beispielsweise im Recht, Dienstverträge eigenständig abzuschließen und aufzulösen und sonst alle wesentlichen Dienstvorschriften für „ihre“ Mitarbeiterinnen einseitig anzuordnen (Überstunden, Urlaub, dienstliche Weisungen).
Diese Voraussetzungen sind bei Claudia L. ebenfalls erfüllt. Sie ist daher auch leitende Angestellte iSd Arbeitsverfassungsgesetzes. Das hat zur Folge, dass sie vom Betriebsrat nicht vertreten wird und vom Betriebsrat mit der Unternehmensleitung geschlossene Betriebsvereinbarungen – hier: betreffend Gleitzeit – für sie nicht gelten.
Der Betriebsrat ist auch in das Kündigungs-Prozedere nicht zu involvieren und Claudia L. kann ihre Kündigung auch nicht wegen Sozialwidrigkeit bei Gericht anfechten (eine Diskriminierungsklage stünde aber auch ihr offen).
Rettungsanker Handels-KV
Als Angestellte unterliegt ihr Dienstverhältnis aber dem einschlägigen Handels-Kollektivvertrag. Dieser Kollektivvertrag sieht nämlich im Gegensatz zu einigen anderen keine Ausnahme für leitende Angestellte vor. Die kollektivvertraglichen Vorschriften zu Arbeitszeit, Arbeitsruhe und Überstunden sind daher anwendbar.
Für Claudia L. gilt daher genauso eine Arbeitszeit von 38,5-Stunden/Woche wie für „normale“ Angestellte, und weil die Gleitzeit-Betriebsvereinbarung für leitende Angestellte nicht gilt, kann sie die im Kollektivvertrag vorgesehene Überstundenvergütung ebenso geltend machen. Das wäre nur dann anders, wenn Claudia im Dienstvertrag eine pauschale Abgeltung von Überstunden vereinbart hätte (All-in-Vereinbarung; Überstundenpauschale).
Jakob Widner ist Partner bei Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in Wien und leitet dort den Bereich Arbeitsrecht.
Alle bisher erschienenen Artikel des "Crashkurs Arbeitsrecht" finden Sie hier.