Folge 17: Die Notariatsangestellte Seham E. kommt nur mehr mit einem Niqab zur Arbeit. Auf die Aufforderung des Arbeitgebers, dies zu unterlassen, reagiert sie nicht, worauf er sie kündigt. Drohen ihm Konsequenzen nach dem Gleichbehandlungsgesetz?
Bei Vorliegen einer ungerechtfertigten Diskriminierung in der Arbeitswelt kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber immateriellen Schadenersatz für die erlittene persönliche Beeinträchtigung verlangen.
Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Religion in einer vergleichbaren Situation eine ungünstigere Behandlung erfahren hat, als eine andere Person erfahren hat oder hätte. Wird der Arbeitnehmer gekündigt, weil er nicht einwilligt, auf den Gesichtsschleier zu verzichten, handelt es sich um eine unmittelbar benachteiligende Diskriminierung aufgrund der Religion.
Eine solche kann jedoch grundsätzlich u.a. dann gerechtfertigt sein, wenn einerseits das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt und andererseits es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt (zB. raschere Erkennbarkeit von Flughafenmitarbeiterin aufgrund des erhöhten Sicherheitsbedürfnisses).
Gesamtgesellschaftliche Kommunikation
Zwar behindert das Tragen eines Gesichtsschleiers den Arbeitnehmer nicht bei seiner eigentlichen Tätigkeit, aber stellt es in Österreich dennoch eine wesentliche Grundregel der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation dar, das Gesicht unverhüllt zu lassen. Von dieser Grundregel ist nicht nur die Kommunikation mit Kunden erfasst, sondern auch die Kommunikation mit Arbeitskollegen oder mit dem Arbeitgeber.
Der Arbeitgeber kann daher das Tragen eines Gesichtsschleiers schon dann verbieten, wenn es ausreichenden Kontakt zu diesen Personen gibt. Der Ausspruch einer Weisung, am Arbeitsplatz keinen Gesichtsschleier zu tragen, ist in diesen Fällen daher nach § 20 Abs 1 GlBG gerechtfertigt und zulässig.
Ob eine derartige Weisung im Hinblick auf alle denkbaren Arbeitsplätze unter den Ausnahmetatbestand des § 20 Abs 1 GlBG zu subsumieren wäre, wird von der Artikelverfasserin jedoch in Frage gestellt (zB. Arbeitsplatz in einem Call-Center ohne Kundenkontakt).
Im gegenständlichen Fall liegt in Bezug auf die Arbeitgeberkündigung – aufgrund der Rechtfertigung der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation einer Notariatsangestellten gemäß § 20 Abs 1 GlBG – keine Diskriminierung wegen der Religion vor. Seham E. steht daher diesbezüglich keine Entschädigung zu.
Teil 2 dieser Causa erscheint am 4. Oktober.
Doris Braun ist seit 2000 Partner und geschäftsführende Gesellschafterin bei der Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind Arbeits- und Sozialrecht sowie Streitführung.
Alle bisher erschienenen Beiträge des "Crashkurs Arbeitsrecht" finden Sie hier.