Folge 23. Sandra S. wird gekündigt und für die Dauer der Kündigungsfrist dienstfrei gestellt, um offenen Urlaub zu verbrauchen. Sie will den Urlaub lieber ausbezahlt bekommen.
Das Arbeitsverhältnis von Sandra S. wird vom Arbeitgeber fristgerecht zum 31.12. des Jahres gekündigt. Im Kündigungsschreiben wird Sandra S. vom Arbeitgeber „für die Dauer der dreimonatigen Kündigungsfrist dienstfrei gestellt, womit Ihr offener Urlaubsanspruch von 45 Urlaubstagen als verbraucht gilt“. Sandra S. würde während der Kündigungsfrist lieber noch arbeiten und in dieser Jahreszeit nicht den gesamten Resturlaub verbrauchen. Denn sie hat zwei schulpflichtige Kinder zu betreuen, sodass sie bis zu den Weihnachtfeiertagen in ihren Erholungsmöglichkeiten eingeschränkt ist, insbesondere auch nicht verreisen könnte. Zudem käme ihr die Auszahlung von Urlaubsersatzleistung für den nicht verbrauchten Urlaub am Ende des Dienstverhältnisses auch finanziell gerade recht.
Muss Sandra S. den vom Arbeitgeber angeordneten Verbrauch des Resturlaubes gelten lassen?
Urlaub nur nach Vereinbarung
Der Verbrauch von Urlaub zu einem bestimmten Zeitpunkt bedarf stets einer konkreten Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Diese Vereinbarung ist grundsätzlich an keine bestimmte Form gebunden, kann also auch bloß mündlich oder durch schlüssiges Verhalten zu Stande kommen. Bei der Urlaubsvereinbarung ist einerseits auf die Interessen des Betriebes (Arbeitsanfall, Funktion des Arbeitnehmers, Urlaub anderer Arbeitnehmer, Saisonbetrieb etc.), andererseits auf die Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers (Regenerationsbedürfnis, Ferienzeit der Kinder, Urlaub des Partners, konkrete Urlaubspläne etc.) Rücksicht zu nehmen. Der Urlaub soll möglichst bis zum Ende jenes Urlaubsjahres verbraucht werden, in dem der Anspruch entstanden ist.
Vor diesem Hintergrund hat weder der Arbeitgeber ein einseitiges Gestaltungsrecht, den Arbeitnehmer „auf Urlaub zu schicken“, noch hat der Arbeitnehmer das Recht, ohne Zustimmung des Arbeitgebers den Urlaub nach seinem Belieben anzutreten.
An diesen Grundsätzen ändert sich auch nach Ausspruch einer Kündigung nichts. Weder gilt eine vom Arbeitgeber für die Dauer der Kündigungsfrist einseitig angeordnete Dienstfreistellung unter Fortzahlung des Entgelts (die im Regelfall zulässig ist) als Urlaubsverbrauch, noch kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist nach Belieben „auf Urlaub schicken“. Es bedarf grundsätzlich weiterhin einer Vereinbarung.
Der Arbeitgeber kann somit den Arbeitnehmer auch nach Ausspruch der Kündigung nur dazu auffordern bzw. anbieten, Urlaub zu verbrauchen. Eine einseitige Anordnung des Urlaubs bzw. einer Dienstfreistellung kann als entsprechendes Angebot des Arbeitgebers auf Urlaubsverbrauch verstanden werden. Der Arbeitnehmer ist aber auch während der Kündigungsfrist grundsätzlich nicht verpflichtet, Urlaub zu verbrauchen. Ist er arbeitsbereit und wird vom Dienst freigestellt, schmälert diese Dienstfreistellung weder den Urlaubsanspruch, noch den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung.
Nutzung der Dienstfreistellung für Erholungszwecke
Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitnehmer Zeiten der Dienstfreistellung nachweislich für Erholungszwecke nutzt und nicht arbeitsbereit ist, etwa weil er verreist. Für diese Zeiträume sind ein Abzug vom Urlaubsanspruch und die daraus resultierende Reduktion der Urlaubsersatzleistung gerechtfertigt. Denn der Arbeitnehmer wäre aufgrund der ihn treffenden Treuepflicht dazu verpflichtet, für diese Zeit der Erholung Urlaub zu beantragen. Er darf die Dienstfreistellung - die ja als Angebot für die Inanspruchnahme von Urlaub zu verstehen ist - nicht für diese Reise ausnutzen.
Rechtsmissbräuchliche Ablehnung von Urlaub
Darüber hinaus darf der Arbeitnehmer den Verbrauch von Urlaub während der Kündigungsfrist auch nicht rechtsmissbräuchlich ablehnen. Wann Rechtsmissbrauch vorliegt, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei darauf abzustellen ist, ob die wechselseitigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer in krassem Missverhältnis stehen, der Arbeitnehmer den Urlaubsverbrauch also nicht aus sachlichen Gründen ablehnt bzw. es ihm primär darauf ankommt, den Arbeitgeber durch den Nichtverbrauch von Urlaub zu schädigen. Beweispflichtig für Rechtsmissbrauch ist der Arbeitgeber.
Parameter für die Beurteilung eines allfälligen Rechtsmissbrauches sind u.a. die Dauer der Kündigungsfrist, die Anzahl der Urlaubstage, das Verhalten und die Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers während der Kündigungsfrist, sowie die Erfordernisse des Betriebs. Auch das Urlaubsverhalten in der Vergangenheit ist zu berücksichtigen. Der Umstand, dass der Urlaubsverbrauch unter Berücksichtigung der Jahreszeit, in der die Kündigungsfrist liegt, zumutbar wäre, begründet für sich allein noch keinen Missbrauchsvorwurf.
Zurück zu unserem Fall
Im vorliegenden Fall wird der Urlaubsanspruch von Sandra S. durch die vom Arbeitgeber ausgesprochene Dienstfreistellung somit nicht automatisch aufgebraucht. Ihr Anspruch auf Urlaubsersatzleistung für 45 Urlaubstage bleibt trotz Dienstfreistellung zunächst bestehen.
Sollte Sandra S. die Zeit der Dienstfreistellung jedoch entgegen ihrer Annahme (insbesondere trotz ihrer schulpflichtigen Kinder) teilweise für Erholungszwecke nutzen – beispielsweise für einen Thermenaufenthalt, eine Fernreise oder ein paar Schitage –, wird ihr Arbeitgeber den Urlaubsanspruch um diese Tage kürzen dürfen. Sandra S. wäre trotz der vom Arbeitgeber ausgesprochenen Dienstfreistellung verpflichtet, für diese Erholungszeiträume Urlaub zu beantragen.
Nicht ausgeschlossen ist auch, dass Sandra S. Rechtsmissbrauch vorgeworfen wird, wenn sie ohne sachlichen Grund die Inanspruchnahme jeglichen Urlaubs während der Kündigungsfrist ablehnt. Bei tatsächlich vorliegendem Rechtsmissbrauch würde auch dies den Arbeitgeber zu einer anteiligen Kürzung der Urlaubsersatzleistung berechtigten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Sandra beträchtlichen Resturlaub angespart hat, die Kündigungsfrist immerhin drei Monate beträgt und der Verbrauch von Urlaub, insbesondere rund um den Zeitraum der Weihnachtsfeiertage, zumutbar scheint - zumal die schulpflichtigen Kinder von Sandra S. Ferien haben. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die Freizeit für Erholungszwecke genutzt werden könnte, auch wenn Sandra S. zu Hause ist und nicht verreist. Letztlich kommt es auf eine wertende Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände an.
Axel Guttmann ist Rechtsanwalt bei Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in Wien und auf den Bereich Arbeitsrecht spezialisiert.