Folge 31. Sebastian V. entschließt sich, seine schulterlangen Haare, statt wie bisher mit einem dunklen, nun mit einem pinken Haargummiband zusammenzuhalten. Seinem Vorgesetzten missfällt das. Dessen Aufforderungen, wieder ein dezenteres Band zu verwenden, befolgt Sebastian V. nicht.
Ein Arbeitnehmer, der in seinem Arbeitsvertrag eine bestimmte Tätigkeit zusagt, unterwirft sich damit in gewisser Weise der Verfügungsmacht seines Arbeitgebers. Dieser kann durch Weisung die Arbeitspflicht konkretisieren und anordnen, wie die Arbeit zu erledigen ist. Eine Anordnung des Arbeitgebers ist gerechtfertigt, wenn sie sich innerhalb der durch den Arbeitsvertrag gezogenen Grenzen hält und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers gewahrt bleiben. Kommt es zwischen den Interessen des Arbeitnehmers und jenen des Arbeitgebers zu einer Kollision, sind die Interessen gegeneinander abzuwägen. Ob eine Weisung gerechtfertigt ist, hängt davon ab, ob das Interesse des Arbeitgebers oder das des Arbeitnehmers überwiegt.
Die Persönlichkeit eines Menschen ist in unserer Rechtsordnung als Grundwert anerkannt. Dabei wird im Rahmen der Privatrechtsordnung an die allgemeinen Wertvorstellungen der verfassungsmäßig garantierten Grundrechte angeknüpft. Das Recht, das persönliche Erscheinungsbild nach eigenem Ermessen festzulegen, ist ein Ausdruck dieses allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Will der Arbeitgeber in dieses Recht eingreifen, braucht er dafür einen sehr guten Grund.
Auf allgemeine Vorstellungen, wie eine „angemessene“ Bekleidung bestimmter Berufsträger auszusehen hat, kann er sich nicht berufen. Denn diese unterliegen naturgemäß dem Wandel der Zeit und sind selbst zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht in allen Bevölkerungsschichten gleich. Allgemein gültige Aussagen, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind, sind daher kaum möglich.
Gründe, die eine Anweisung, eine bestimmte Kleidung (nicht) zu tragen, rechtfertigen können, liegen etwa vor, wenn Kunden an der Professionalität und Seriosität des Arbeitnehmers zweifeln könnten oder wenn der Gesundheitsschutz und die Sicherheit der Arbeitnehmer betroffen sind. Auch das Interesse an einem möglichst einheitlichen äußeren Erscheinungsbild der Arbeitnehmer, etwa für den Wiederkennungswert des Unternehmens, kann berechtigt sein, sodass ein Arbeitgeber allgemeine Bekleidungsvorschriften (Uniform) vorgeben darf.
In einem schon etwas länger zurückliegenden Fall hat der Oberste Gerichtshof bei einem Mitarbeiter einer Bank die Weisung des Arbeitgebers für berechtigt gehalten, der einem männlichen Angestellten untersagt hat, eine dicke goldene Halskette sichtbar zu tragen. Die Bank ist sehr wesentlich auf das ihr von den Kunden entgegengebrachte Vertrauen angewiesen, das unter anderem auch dadurch erworben und erhalten wird, dass im Kundenbereich von den Angestellten eine dem Verständnis der Bevölkerung entsprechende Kleidung getragen wird, lautete damals die Begründung.
Weniger streng (in Bezug auf die Bekleidungsanforderung an den Arbeitnehmer) war das Höchstgericht in neuerer Zeit bei einem Autobuslenker im öffentlichen Personennahverkehr, der wie im Ausgangsfall, ein rosa Haarband trug. Hier war das betriebliche Interesse des Arbeitgebers letztlich nur durch die Farbauswahl des zwar funktionellen, seiner Meinung nach zu auffallenden Haarbandes beeinträchtigt. Wegen dieses Haarbandes würden Fahrgäste weder an der Professionalität und Seriosität des Buslenkers zweifeln, noch sich weigern, in dem von ihm gelenkten Linienbus mitzufahren. Da der Buslenker im Übrigen die vorgeschriebene Uniform trug, blieb auch sichergestellt, dass er im Gefahrenfall als Fahrer erkennbar war.
Für Sebastian V. folgt daraus, dass seine Weigerung, die Farbe des Haarbandes zu wechseln, berechtigt ist, wenn der Arbeitgeber keine guten Gründe anführen kann, weshalb er auf dem Farbwechsel besteht. Das wird von dem Beruf abhängen, den Sebastian V. ausübt, seiner Stellung im Unternehmen und ob die Einschätzung seiner Professionalität und Seriosität durch die Kunden tangiert sein kann. Sicherheits- oder Gesundheitsaspekte werden von der Farbwahl hingegen wohl kaum betroffen sein.
Kurt Wratzfeld ist Partner bei der Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH (fwp) mit Spezialisierung in den Bereichen Arbeitsrecht, Prozessführung, Betriebspensionsrecht und allgemeines Zivilrecht. Er ist Autor zahlreicher Publikationen