Was für ein Theater!

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Management im Kopf: Folge 112. Komplexität meistern: Eine kleine Einführung in klassische Strategielehren.

Mit der Künstlichen Intelligenz und Robotik gewinnen Algorithmen an Prominenz. Solche Patentrezepte für das Lösen von Aufgaben und Problemen sind auch im Management höchst beliebt. Doch an komplexen Umständen scheitern sie. Sie zu meistern verlangt nach Strategien und Heuristiken, die quasi im Inkubator der Digitalen Ära zu finden sind: in den Originalquellen einiger Systemwissenschaften. Ab Folge 111 ihrer Kolumne stellt Maria Pruckner verlässliche Strategien und Heuristiken vor.

„Alles gut. Alles bestens.“ Werden sie nach ihrer werten Befindlichkeit und dem Gang der Geschäfte gefragt, geben sie solches als Auskunft. Während ihnen die Zunge beim Hals heraushängt und ihr Atem nur noch flach geht. Schlechtes Theater das. Es gibt viel, viel Besseres, als Burnouts zu ignorieren, zu verleugnen oder zu vertuschen. Kluge Strategien nämlich. Die den Einsatz der Kräfte gezielt bündeln, wohl überlegt steuern und regulieren. Gute Strategien verhindern nicht nur das Burnout von Menschen und Unternehmen. Sie erlauben tatsächlichen nachhaltigen Erfolg. Auch, wenn es ganz eng wird. Das Wichtigste anhand eines außergewöhnlichen Theaters.

Vorreiter der Komplexitätsbeherrschung

„Die Strategie ist eine Ökonomie der Kräfte.“ Von Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz, dem großen Militärwissenschaftler des 18./19. Jahrhunderts stammt diese einfache Erklärung. Der Generalmajor sprach zwar noch nicht von komplexen Systemen. Aber er hat ihre spezielle Natur sowie vieles Grundlegendes aus den viel später entstandenen Systemwissenschaften schon damals vorweggenommen. Seine diagnostische Achse Zwecke-Ziele-Mittel etwa findet sich auch in der Kybernetik wieder. Apropos: Wofür sind Strategien gut? Was gewinnt man durch sie? Und was braucht man für sie? Und zwar nicht nur beim Militär? Bevor man sich über irgendein Konzept der Strategieentwicklung beugt, sollte man sich zuerst über diese Frage im Klaren sein.

Za wos?

Meinen Lesern außerhalb der austrianischen Zone sei zuerst die Phrase „za wos?“ erklärt. Sie kommt aus österreichischen Dialekten und bedeutet „wozu“. Wird sie im eher abfälligen Tonfall geäußert, bezweifelt man damit den Nutzen von etwas. Im eindeutig abfälligen Tonfall signalisiert es, dass bereits beschlossen wurde, etwas nicht zu tun, weil man befunden hat, es sei zu nichts gut. Im Management scheint dieses „za wos“ heute insbesondere das Entwickeln und Umsetzen von echten Strategien zu betreffen. Wegen dieser Komplexität und so. Weil sich ohnehin dauernd alles verändert. Weil kein Plan mehr hält. Das Erste, was man wissen sollte: Eine Strategie ist kein Plan. Und auch keine Planung.

Vom Algorithmus zur Heuristik

Feldzüge könnten nur zum geringsten Grad geplant werden, argumentierte Clausewitz, da viele nicht vorhersehbare Einflüsse jeden detaillierten Plan in kurzer Zeit unwirksam machen würden. Drei Viertel der kriegsrelevanten Faktoren seien durch einen „Nebel des Krieges“ verhüllt oder verfälscht, schreibt er in seinem Schlüsselwerk „Vom Kriege“. Clausewitz ging unter anderem als Militärreformer in die Geschichte ein, weil er quasi die Algorithmen für Generäle abgeschafft hat, wie sie bis dahin in der Kriegstheorie üblich waren. Er hat sie vor allem durch valide Heuristiken abgelöst. Denn das Fundament jeder guten Strategielehre ist eine Strategie des Denkens. Alles beginnt mit einer bestimmten Denkweise für eine bestimmte Situation.

Adäquate Denkweise

Als guter Stratege ist man sich als Erstes über seine eigene Denkweise im Klaren. Sind Ihre bewussten und unbewussten Vorannahmen, mit denen Sie an eine bestimmte Situation herangehen, für diese adäquat? Passt die eigene Vorstellung von „Komplexität“ (von komplexen Systemen), ist heute dabei die wichtigste Frage. Zwar spricht man heute oft lieber von mindset, doch das deutsche Wort „Denkweise“ ist viel reicher. Es weist nicht nur auf eine Art eines Denkens hin. Mit „denk weise“ lädt es auch ein, weise zu denken. Zudem verspricht es ein Ergebnis: den Weisen, den großen Denker. Alle klassischen Strategielehren bauen auf bestimmten Denkweisen auf. Sie stehen, wie die Systemwissenschaften selbst, für bestimmte Denkschulen.

Zeitdruck und Informationsmangel

Die grundlegenden Annahmen über militärische Situationen von Clausewitz entsprechen in vieler Hinsicht den Eigenschaften, die man später in den Systemwissenschaften komplexen Systemen zuschreibt. Clausewitz schloss aus ihnen, dass militärische Führungskräfte fähig sein müssen, unter Zeitdruck mit unvollständigen Informationen kluge Entscheidungen zu treffen. Genau vor diesen Anforderungen stehen heute alle Führungskräfte, Manager und alle Menschen, die sich ihrem Schicksal nicht ohnmächtig ergeben wollen.

Der bessere Ahne von VUCA

Unter Zeitdruck mit zu wenig relevanter Information entscheiden, ist die Kernanforderung für das Meistern von Komplexem. Clausewitz, quasi der Vorahne des heutigen VUCA, war noch genau genug. Die Eigendynamik komplexer Systeme nimmt mit dem Ausmaß von Signalen zu, und mit dem Tempo, mit denen sie übermittelt und empfangen werden. Um eine Lage im Griff zu haben, muss man daher schneller agieren als die Eigendynamik des Systems. Im modernen Akronym VUCA ist der entscheidende Zeitfaktor unter den Tisch gefallen. Volatility, uncertainty, complexity und ambiguity stehen zudem nicht auf derselben Abstraktionsebene. Unbeständigkeit, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit sind Merkmale komplexer Systeme.

Ein praktisches Beispiel

Möchten Sie auf höchstem Niveau erleben, was es mit Strategien für komplexe Systeme auf sich hat? Ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches, äußerst lehrreiches Beispiel ist eine aktuelle Inszenierung von Paulus Manker, dem Erfinder des simultanen Polydramas. „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus führt er gerade in der Serbenhalle in Wiener Neustadt auf. Mit Mozarts Kompositionen in seiner Zeit könnte man den Innovations- und Komplexitätsgrad von Mankers Inszenierungen vergleichen. Obwohl bald nach der allseits bejubelten Premiere sechs zusätzliche Aufführungen nachgeschoben werden konnten, sind auch diese bereits ausverkauft. Ob und wann erneut weitere Aufführungen kommen werden (können), hängt von den strategischen Umständen ab, die man zum Teil durchaus mitgestalten kann. Als Sponsor zum Beispiel.

Zwecke und Ziele

Wussten Sie, dass der Erste Weltkrieg mit Fake-News begonnen hat? In Zeitungen wurde behauptet, die Serben hätten auf die österreichischen Truppen geschossen. Kaiser Franz Joseph hat daraufhin die Kriegserklärung unterschrieben. Solches erzählt Manker mit seiner Monsterleistung und der seines Teams. Um den Ersten Weltkrieg geht es in der empfohlenen Inszenierung und um eine Stimmung, die der heutigen nicht unähnlich ist. Trotz gigantischer Anforderungen ereignete sich die Premiere der „Letzten Tage der Menschheit“ pünktlich zum Gedenkjahr dieser dramatischen Zeit. Durch die von Karl Kraus penibel dokumentierte unglückselige Vergangenheit soll Bewusstsein geschaffen werden. „Menschen mit wenig Verstand“, schreibt Clausewitz über das, was man heute blinden Aktionismus nennt, „können nicht entschlossen sein. Sie können in schwierigen Fällen ohne Zaudern handeln, aber dann tun sie es ohne Überlegung…"

Ausgangsbedingungen

200 Szenen aus dem damaligen Kriegsalltag beschreibt Karl Kraus exemplarisch auf 800 Seiten. 75 Szenen hat Manker ausgewählt, um sie (vorerst) mit 30 Darstellern auf 23 Schauplätzen im Areal der Serbenhalle im Zuge eines längeren Abends aufzuführen. Bis zu sechs Szenen laufen gleichzeitig an verschiedenen Orten. Welche Szene man sich ansieht, muss man als Zuschauer selbst entscheiden. Jeder konstruiert – wie beim Surfen im Internet – sein eigenes Drama. Reichlich digital aufbereitete Information steht einem dafür zur Verfügung. Wie viel strategische Vorarbeit Manker in die Auswahl und Inszenierung der 75 Szenen gelegt haben muss, deutet die Begeisterung der internationalen Kritik und des Publikums nur an. Was man sonst nur von großen Filmen oder virtuellen Welten kennt, verwirklicht Paulus Manker hautnah mit echten Menschen in echten Umgebungen in Echtzeit. Nur wahre Meister der Komplexitätsgestaltung können so etwas auf die Beine bringen.

Die Mittel

Manker hängt ein Image des bösen Buben an. Angezüchtet hat er sich das wohl bewusst auch selbst. Man könnte vermuten, es sei sein strategisches Alleinstellungsmerkmal. Von allzu geschmeidig Angepassten unterscheidet er sich jedenfalls deutlich genug. Die Produktionskosten der Inszenierung belaufen sich auf ungefähr wohl mindestens 450.000 Euro. Ganze 728,75 Euro konnte Manker aus Subventionen lukrieren. Kein Steuergeld für so etwas? Details dazu finden Sie in vielen Medienberichten, hier ist nur wichtig: Es gibt keine Strategie ohne Risiko. Manker ist das bewusst. „Entweder ausverkauft oder Gefängnis“, ist seine Devise. Sie entspricht einem wunderbaren Gedanken von Nicolaus Harnoncourt: „Das Außergewöhnliche entsteht auf einem ganz schmalen Grat zwischen der sicheren Zone und dem Abgrund.“ Die Sponsoren, die Manker halfen, die Produktionskosten auf die Beine zu stellen, müssen das verstanden haben.

Ein tolles Seminar um € 145.-

Der Eintritt für Die letzten Tage … kostet 145 Euro und enthält, wie in gängigen Managementseminaren, auch die nicht gerade bescheidene, äußerst bequem gereichte Verköstigung. Kein Programm lässt kostengünstiger und eindringlicher ahnen, was in komplexen Systemen passiert, wenn es an klugen Strategen mangelt. Und wie aufwändig komplexe Systeme durchdacht und organisiert sein müssen, sollen dabei große Erfolge und vor allem begeisterte Kunden herauskommen. Versuchen Sie, eine Karte zu bekommen. Wenn auch erst für nächstes Jahr. Denn Meister können nur von Meistern lernen…

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

(Maria Pruckner)

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