Katzenklavier und Geruchsdiagnose: Die Sinnlichkeit der Aufklärung

Ein schreckliches Instrument, empfohlen zur Behandlung krankhafter Melancholiker: das Katzenklavier.
Ein schreckliches Instrument, empfohlen zur Behandlung krankhafter Melancholiker: das Katzenklavier.(c) W. W. Norton & Company
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Gerade das „Zeitalter der Vernunft“ war bis zur Besessenheit fasziniert von Sinnesempfindungen – mit bizarren Folgen wie Tabak-Einläufen und einem schrecklichen Instrument, wie die Historikerin Carolyn Purnell in „The Sensational Past“ zeigt.

Was für eine Zeit ist das, in der sich französische Adelige, die sich besonders königstreu und modisch geben wollen, in eine Farbe kleiden, die vom Inhalt der Windel des neugeborenen Prinzen inspiriert ist? In der Klaviere erfunden werden, deren Geräusche von am Schwanz gezogenen Katzen erzeugt werden? Oder in der sich von der italienischen Küche begeisterte junge Engländer Frisuren zulegten, die grotesk lang waren wie überdimensionale Makkaroni? Es ist das Zeitalter der Aufklärung, das man im ersten Moment so gern mit Vernunft und Rationalität verbindet. Im zweiten mit gefühlsbetonten Strömungen wie Pietismus, Empfindsamkeit, Sturm und Drang. Weniger mit praller Sinnlichkeit.

Und doch ist es kein Zufall, dass Patrick Süskind seinen Roman über einen mörderischen Pariser Parfümeur im 18. Jahrhundert spielen lässt. Das „Zeitalter der Vernunft“ war auch, oft bis zur Besessenheit, fasziniert von der Welt der Sinnesorgane. Künstler, Philosophen und Wissenschaftler beschäftigten sich damit, für Voltaire war das sinnliche Empfinden etwas „ebenso Wunderbares“ wie das Denken, für seine Zeitgenossen Diderot und d'Alembert war „nichts unstrittiger als die Existenz unserer Sinnesempfindungen“. In der Philosophie blühte der Sensualismus, der alles Denken und Handeln auf sinnliches Empfinden zurückführte.

Das neue Strahlen der Welt

In diese ausnehmend sinnliche Geschichte der Aufklärung taucht die US-amerikanische Historikerin Carolyn Purnell mit einem Buch ein: „The Sensational Past. How the Enlightenment Changed the Way We Use Our Senses“ erzählt von Ärzten, die am Patienten rochen, um Krankheiten zu diagnostizieren. Von Museen, die ihre Besucher ausdrücklich dazu einluden, die Kunst auch mit den Händen zu erkunden. Von einem neuen Strahlen der Welt auf der Kleidung, zu Hause, in der Kunst – verursacht durch neue Färbemittel. Marie-Antoinette war nicht nur die Kreateurin des eingangs erwähnten „Caca Dauphin“-Stils („dauphin“ wurde in Frankreich der künftige Thronfolger genannt); sie brachte eine Farbe nach der anderen in Mode, etwa die des Scharlachrot als Erinnerung an den Brand der Pariser Oper 1781.

Man erfährt von einer Dinner Party im Bauch eines Iguanodon-Modells, bei dem die Gäste den Geschmack neuer aus den Weiten der Welt importierter exotischer Speisen „wissenschaftlich“ testeten – dass Geschmack einfach Geschmackssache sei, dachte man damals nicht. Und von heute oft bizarr, zuweilen makaber anmutenden Erfindungen, die das Experimentieren mit den menschlichen Sinnen hervorgebracht hat. Nehmen wir die Tabak-Einläufe, mit denen man Ertrunkene wiederzubeleben versuchte. Oder das Katzenklavier, von dem (Gott sei Dank) bis heute nicht ganz sicher ist, ob es realiter je existierte. König Philipp II. von Spanien soll ein solches seinem Vater, Karl V., geschenkt haben. In 20 engen Boxen, wird berichtet, befand sich jeweils eine Katze, die ein jämmerliches Miauen produzierte, sobald die mit ihrem Schwanz verbundene Taste gedrückt wurde. Dieses schreckliche Instrument, das sogar angenehme „Töne“ produziert haben soll und zur Behandlung von krankhaften Melancholikern empfohlen wurde, war nicht nur zum Vergnügen da; es hatte auch mit der damals verbreiteten Suche nach einer „natürlichen“, den Harmonien des Universums entsprechenden Musik zu tun. Ein anderer Versuch in diese Richtung war die Augenharfe des Jesuiten Louis-Bertrand Castel. Sie sollte zu jedem Ton die angeblich wesenhaft entsprechende Farbe erscheinen lassen.

Der Sex-Sinn als sechster Sinn

Empfindungsgeschichte ist für jede Epoche faszinierend, sie relativiert die Vorstellung, dass sinnliches Empfinden – anders als das Denken – etwas Universelles ist. Die Aufklärung ist für Purnell aber besonders spannend, weil in ihr „die Welt in etlichen wesentlichen Bereichen der unsrigen ähnlich wurde“. Die bekannte Theorie, dass mit der Aufklärung auch der Siegeszug des Sehsinns als dominierender Sinn der Moderne begonnen hätte, wird durch das Buch allerdings eher relativiert. Vielmehr zeigt „The Sensational Past“, wie tief im 18. Jahrhundert die Vorstellung verwurzelt war, dass die Sinne zutiefst miteinander verbunden seien. Die Sinne wurden auch anders eingeteilt als heute: Manche rechneten etwa Einbildungskraft oder Gedächtnis als „innere Sinne“ dazu, andere den Sex-Sinn als sechsten Sinn.

Auch wenn „The Sensational Past“ wenige Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum bringt und die Vorliebe für das bizarr Anekdotische oft vor wissenschaftlicher Reflexion geht, wäre es wert, auch auf Deutsch serviert zu werden – so vergnüglich und lehrreich spürbar wird vieles aus dem Leben einer Epoche, auf die sich die heutige so gern bezieht. Ihre Absicht sei es, „ein Verständnis des achtzehnten Jahrhunderts durch eine unerwartete und unvertraute Perspektive zu vermitteln“, schreibt Carolyn Purnell am Ende. „Wenn Sie dabei ein wenig lernen und ein wenig lachen, „then I consider my job to be done“. Well done!

GESCHICHTE(N) DER SINNE

„The Sensational Past. A Natural History of the Senses“ von Carolyn Purnell (W. W. Norton & Company) reiht sich in ein relativ neues Genre von Büchern, die die (nur sehr indirekt rekonstruierbare) historische und kulturelle Vielfalt menschlicher Sinnesempfindungen erkunden. Zu den interessantesten Ergebnissen gehört etwa „A Natural History of the Senses“ (1990, deutsch: „Die schöne Welt der Sinne“) von Diane Ackerman. Verwandt damit sind Körper- und Emotionsgeschichte, die in den letzten Jahrzehnten in der Geschichtswissenschaft immer wichtiger wurden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2017)

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