Wir feiern die Republik, nicht die Nation

GEDENKJAHR 2018: 'EUROPEAN BALCONY PROJECT' / SIMONISCHEK
GEDENKJAHR 2018: 'EUROPEAN BALCONY PROJECT' / SIMONISCHEKAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Balcony Project. Schriftsteller Robert Menasse und Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot propagieren die Europäische Republik, eine grenzenlose demokratische Gemeinschaft ohne Identitätsverlust. Doch geht das?

Man braucht jetzt ein Visum für jedes Land extra!‘ sagte mein Vetter Joseph Branco. ,Zeit meines Lebens hab' ich so was nicht gesehn. Jedes Jahr habe ich überall verkaufen können: in Böhmen, Mähren, Schlesien, Galizien‘ – und er zählte alle alten, verlorenen Kronländer auf. ,Und jetzt ist alles verboten. Und dabei hab' ich einen Pass. Mit Photographie.‘“ Die von Joseph Roth im Roman „Kapuzinergruft“ erzählte Geschichte des Maronihändlers Branco erinnert daran, dass es möglich ist, sich in einem kleinen, eng gewordenen Nationalstaat heimatlos zu fühlen. Die neue Abgrenzung mag ab 1918 für viele ehemalige k. u. k. Bürger identitätsstiftend gewesen sein, für viele andere – nicht nur für Monarchisten – war sie freiheitsberaubend und irritierend.

Roths Erzählung hat Aktualität. Denn plötzlich werden im europäischen Binnenmarkt wieder Grenzkontrollen eingeführt, um Menschen – und wohl auch bald Waren – abzuhalten. Der Grund liegt nicht allein bei der Flüchtlingskrise, sondern in einem von national orientierten Parteien erfolgreich propagierten Identitätsversprechen. Der Nationalstaat wird von ihnen in einer globalisierten Welt als einzig mögliche Garantie des Zusammenhalts beworben.

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