Tricky Women: Welten im Kleinen erschaffen

(c) Tricky Women 2014
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Eine Plattform für Filmemacherinnen und ein Spiegel dessen, was beim Animationsfilm überhaupt möglich ist: Das Tricky Women Festival.

Einem verliebten Koch fallen grüne Gedankenfäden in den aquarellierten Kochtopf, sie wehen vom Teller des kostenden Gastes, der Wind trägt sie fort. Auf einem beschlagenen Fenster gewinnt eine Fingerzeichnung an Leben, um Erinnerungen vor dem Verblassen zu bewahren. Dunkle Sonnen senden orange Strahlen aus, während sie sich zu dumpfen Klängen bewegen.

Die Verschiedenartigkeit der Filme, die beim diesjährigen Tricky Women Festival gezeigt werden, ließe sich weit ausholend schildern. Denn aus 650 Einreichungen wurden 135 Festivalbeiträge ausgewählt: Zeichentrick neben Puppenanimation, Legetechnik neben Sandanimation, Cut-Outs, Glasmalerei, auch 3-D-Filme sind dabei. Dieser Bandbreite an Techniken entspricht eine ebenso große Vielfalt an Inhalten, mit teils unkonventionellen Umsetzungen – fern von den quietschigen Walt-Disney-Bilderwelten jedenfalls. Denn Tricky Women soll wie ein Spiegel umfangreich abbilden, was beim unabhängigen Animationsfilm von Frauen gerade los ist.

Frauen und Gerechtigkeit. Und dieser Spiegel zeigt: Bei den Filmen der letzten zwei Jahre, die nun auf dem Programm stehen, gibt es einiges an gesellschaftspolitischem Impetus. Das passt den Festivalleiterinnen Birgitt Wagner und Waltraud Grausgruber ganz gut ins Programm. Politik spielt bei dem Festival ohnehin eine Rolle, hat es doch aufgrund seines Frauenbezugs unweigerlich eine feministische Ausrichtung. Und es ist Grausgruber und Wagner ein wichtiges Anliegen, Frauen zu fördern.

Denn diese haben es beim Film nach wie vor schwerer als Männer. Deshalb haben die beiden auch Bloggerin Melissa Silverstein von Women and Hollywood für eine Diskussionsrunde über dieses Ungleichgewicht in der gesamten Filmbranche eingeladen. Was die Gleichstellung im Bereich Animationsfilm betrifft, schildert Grausgruber es als Ziel des nunmehr elften Festivals, ein öffentliches Bewusstsein für das weibliche Schaffen zu bilden: „Es werden heutzutage etwa gleich viele Frauen wie Männer ausgebildet, sind gleich qualifiziert. Deshalb ist es notwendig, sie ins Rampenlicht zu stellen und zu sagen: ,Wir sind da‘.“ Tricky Women ist das weltweit einzige Festival für Animationsfilm von Frauen. Obwohl das Festival klein ist, konnte es vor allem durch diese Schwerpunktsetzung international bekannt werden, ist oft zu hören.

Grausgruber und Wagner wollen aber nicht nur Lobbying für fertige Filme betreiben. Sie wollen auch mehr interessierte Frauen zum Animationsfilm bringen. Aus diesem Grund gibt es den Festivalschwerpunkt Best Practice: Auf dem Programm stehen neben Gesprächen auch Filme rund um Selbstermächtigung. Etwa „Butoyi“, eine Community-basierte Animation vom belgischen Camera-etc-Kollektiv: Zwölf Mädchen aus Burundi wurde es in einem Projekt ermöglicht, sich über einen Film zu heiklen Themen ihrer Gesellschaft zu äußern. Mittels Cut-Outs ist die Geschichte über das Mädchen Butoyi entstanden, das sexuelle Gewalt erfährt und die Schulausbildung abbrechen muss. „Butoyi“ läuft im internationalen Wettbewerb, bei dem am Ende von der Jury Preise vergeben werden, und ist ein Beispiel für gesellschaftskritischen Inhalt aus weiblicher Sicht. Ähnlich verhält es sich bei „Mary & Myself“ von Sam Decoste: Hier erinnern sich Freundinnen an ein düsteres Kapitel der Geschichte, als sich nämlich japanische Frauen im Zweiten Weltkrieg prostituieren mussten. Aber auch soziale Gerechtigkeit allgemein – nicht nur frauenspezifisch – ist Filmthema: Das Sonderprogramm Fair Play beschäftigt sich mit der Erhaltung von Grundwerten.

Frauen- und Menschenrechte sind Themen, die die Festivalleiterinnen besonders reizen. Daher ist Grausgruber auch schon besonders auf die Filmemacherin Lina Ghaibeh gespannt, die aus dem Libanon anreist, um „Tower of Bitterness“ über den Turm Burj el Mur in Beirut, Versteck von Scharfschützen während des Bürgerkrieges, zu präsentieren: „Weil mich die Frage interessiert, wie man unter solchen Bedingungen arbeiten kann.“

Trendrundschau. Doch nicht nur politische Ansätze prägen die Filminhalte bei Tricky Women. Das Festival in die Schublade Frauen & Feminismus zu stecken, wäre sowieso falsch. Denn nicht bei allen Filmen ist ein „typisch weiblicher“ Blick erkennbar. „Und das ist auch das Schöne daran“, meint die österreichische Künstlerin Birgit Scholin, die selbst mit dem Film „Family Portrait“ am Start ist: „Die Animationsfilme bekommen ihre Berechtigung nicht nur dadurch, dass sie von Frauen gemacht sind, sondern weil sie einfach gut sind.“

Die Stärke des Animationsfilms liege darin, Inhalte auf verschiedene Arten und mit einer breiten Palette an Ästhetiken verpacken zu können, meint auch Grausgruber, die deshalb auf das Lustvolle hinweist: „Die Filme können Atmosphären schaffen und alle Sinne anregen, Spaß machen und Wohlgefühl hervorrufen. Weil sie meist unabhängig entstanden sind, zeigen sie auch, was den Leuten am Herzen liegt und auf der Zunge brennt.“

Wagner und Grausgruber haben die brennenden Themen unter den Filmen herausgefiltert und neben Best Practice oder Fair Play einige weitere Schwerpunkte gesetzt, die von ihnen beobachtete Trends beim Status quo der Animationen zeigen. So haben heuer drei Langfilme Österreich-Premiere: Einer von ihnen  ist „Aya de Yopougon“. Der Film von Marguerite Abouet, die mit diesem Film über das Mädchen Aya den Alltag in Afrika fern von Negativschlagzeilen und Folklore zeigen will, basiert auf einer Comicserie – und verweist somit auf einen weiteren Trend: Comics oder Graphic Novels sind Vorlagen, die gern filmisch belebt werden. Kein Zufall also, dass Wagner und Grausgruber dieses Jahr auch eine Kooperation mit dem Next Comic Festival in Linz auf die Beine gestellt haben. Auch der Langfilm „Tito on Ice“, bei dem die Mumie von General Tito eine Reise durch Ex-Jugoslawien unternimmt, basiert auf einem Comic. Dieser Beitrag ist wie auch der dritte Langfilm, „Truth Has Fallen“, ein animierter Dokumentarfilm – diese Form wird immer beliebter. 

Grenzüberschreitung.
Den Dokus widmen Wagner und Grausgruber zum wiederholten Mal einen Schwerpunkt mit Filmen wie „Grandpère“ von der Schweizerin Kathrin Hürlimann. Die Animation bringe im Stilmix mit dem Realfilm Mehrwert mit ein, sagt Grausgruber: „Sie eignet sich besonders, wenn die Protagonisten geschützt werden wollen, wenn es um Historisches geht, zu dem es kein Bildmaterial gibt, wenn es um heikle Themen geht, die so spielerischer oder humorvoller verpackt werden können.“ Die dazu passende Workshopreihe AniDox: Lab wird von der Israelin Michelle Kranot vorgestellt, die beim Festival in einer Dreifachrolle auftritt. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie auch einen Film für den internationalen Wettbewerb eingereicht: „Hollow Land“ erzählt die Geschichte eines Paares, das Utopia sucht, aber nur das Gefühl von Heimatlosigkeit findet, und war dieses Jahr für den Oscar nominiert. Zudem werden Objekte aus ihrem Stop-motion-Film als „expanded animation“ in der Ausstellung „Female“ gezeigt, einer Koproduktion mit der Galerie Kro Art Contemporary. Ein Bereich, den Grausgruber und Wagner gern in Zukunft weiter forcieren würden, denn Animation überschreitet zunehmend Grenzen, mischt sich nicht nur mit Realfilm, sondern außerhalb der Kinoleinwand auch mit bildender Kunst: „Animation ist die Kunstform des 21. Jahrhunderts, unter anderem weil sie so interdisziplinär ist.“

Künstlerisch wertvoll. In Österreich hat etwa die Verbindung mit bildender Kunst dazu beigetragen, dass hier der Animationsfilm vor allem für seinen experimentellen Charakter bekannt ist. Die Software- und Netart-Künstlerin LIA ist zum Beispiel als eine von zwei Österreicherinnen im internationalen Wettbewerb des Festivals vertreten. Sie beschreibt ihren Beitrag folgendermaßen: „,Three Suns‘ ist nur am Computer entstanden. Wie bei allen meinen Arbeiten programmiere ich Software zur Erstellung des Bildablaufs selbst. Der Sound wird durch die sich bewegenden Objekte, abhängig von deren Distanz zueinander, generiert. Die Strahlen der drei Sonnen sind mittels der sogenannten Superformula programmiert.“

Auch wenn Österreich inter­national für experimentelle Arbeiten bekannt ist, nimmt Animationsfilm hierzulande eine Randposition ein. Es gibt nur wenig Förderungen, keine etablierte Trickfilmindustrie. Und da sich Wagner und Grausgruber auf die Fahnen geschrieben haben, marginale Positionen zu stärken, fokussieren sie auch jedes Jahr auf ein Österreich Panorama samt eigenem Jurypreis. Heuer wird unter anderem ein Musikvideo von Alexandra Wedenig zu sehen sein. Die Regisseurin erzählt, dass sie eigentlich im Realfilm zu Hause und froh sei, sich mit der Band A Life, A Song, A Cigarette auf das Experiment eingelassen zu haben, Film mit animierter Malerei zu verbinden.

Auch Birgit Scholins „Family Portrait“ läuft im Panorama. Der Film wurde erst voriges Jahr beim One Day Animation Festival im Filmcasino zur besten österreichischen Animation gekürt, dennoch findet Scholin es wichtig, mit dem Film auch bei Tricky Women dabei zu sein: „Es ist schön zu sehen, wie verschieden die Leute arbeiten, und es ist wichtig, die anderen zu kennen, weil ich mir mehr Teamarbeit wünschen würde.“ Doch „Family Portrait“ ist noch als Ein-Frau-Projekt mit einfachen Mitteln entstanden: „Ich habe zum Teil in meinem Kleiderkasten Filmsets aufbebaut“, schildert Scholin.

Das Ergebnis ist eine Plastilinanimation, die ausgehend von einem Familiengrab der Hallstattzeit im Naturhistorischen Museum Wien entstanden ist. Scholin reizte es zu hinterfragen, warum diese Menschen in den eingenommenen Haltungen starben.

Für das eigentlich traurige Thema griff sie zu einer Technik des Unterhaltungskinos: „Plastilin lässt normalerweise sofort an heitere Themen denken. Mit dieser Ästhetik zu spielen und die Erwartungshaltung zu brechen, ist das Spannende, das auch eine schöne Tradition in Filmen von Jan Švankmajer und anderen hat.“ Scholin ist auch in anderen künstlerischen Bereichen tätig, doch hat sie den Drang, alles, was sie macht, zu animieren: „Der Trickfilm ist so schön, weil man damit fast alles machen kann, unbelebten Objekten Leben einhauchen und eine eigene Welt im Kleinen erschaffen.“ Das Lustvolle, von dem Grausgruber so schwärmt, kommt bei „Family Portrait“ gut zur Geltung – wie bei vielen anderen der gezeigten Filme auch.

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