Maren Ade: "Die Ironie kommt vom Papa!"

„Beim Dreh brach das Team in Tränen aus. Da wussten wir, es ist perfekt“, erzählt Maren Ade.
„Beim Dreh brach das Team in Tränen aus. Da wussten wir, es ist perfekt“, erzählt Maren Ade.(c) APA/AFP/LOIC VENANCE
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Filmregisseurin Maren Ade landete mit "Toni Erdmann" eine kleine Sensation. Mit der "Presse am Sonntag" sprach sie über Hartnäckigkeit und wie aus Feminismus Flexibilität wurde.

Zum ersten Mal seit 2008 fand sich dieses Jahr ein deutscher Film im Wettbewerb von Cannes – und wurde dort mit fast einhelliger Begeisterung aufgenommen. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass Maren Ades bittersüße Vater-Tochter-Komödie „Toni Erdmann“ schon bei der Pressevorführung Szenenapplaus und ekstatisches Gelächter ernten würde – am wenigsten die 39-jährige Regisseurin selbst.

Sie hatte die Tonmischung des Films erst am Montag vor der Premiere fertiggestellt, und während der Arbeit daran habe er immer melancholischer auf sie gewirkt, wie sie verriet: „Wenn man sich den Film allein ansieht, macht er einen anderen Eindruck, die dramatischen Aspekte kommen viel stärker zum Ausdruck. Aber ich freue mich natürlich über die enthusiastische Reaktion.“ Und die ging weit über das erste Screening hinaus. Deutschsprachige und internationale Medien überschlugen sich vor Lob, im Kritikerspiegel des Branchenblatts „Screen Daily“ fuhr der Film eine Rekordwertung ein. Umso größer war die allgemeine Enttäuschung, als „Toni Erdmann“ bei der offiziellen Preisvergabe leer ausging – seiner Vorab-Reputation sollte das keinen Abbruch tun.

Retterin des deutschen Kinos? Inzwischen wird Ade in vielen Feuilleton-Kommentaren als Retterin des deutschen Kinos gefeiert – fraglos etwas übertrieben, aber vor allem verspätet: Schon „Der Wald vor lauter Bäumen“, Ades Abschlussarbeit an der HFF München, etablierte sie 2003 als Zentraltalent des jüngeren deutschen Films. Darin spielt Eva Löbau eine unerfahrene Lehrerin, deren Versuch, sich in Karlsruhe ein neues Leben aufzubauen, an ihrem mangelhaften Anpassungsvermögen scheitert. Es war eine schonungslose Studie sozialen Fehlverhaltens voller schmerzhaft eskalierender Alltagssituationen – zugespitzt, aber wirklichkeitsnah. Der Film flirtete mit Fremdschäm-Komik à la „The Office“, doch die Grundstimmung war tragisch: Sicher ein Grund dafür, dass er ein Geheimtipp blieb.

Ades Durchbruch kam 2009 mit „Alle anderen“: Birgit Minichmayr und Lars Eidinger als Mittelstandspaar im Urlaub auf Sardinien, das nach der Begegnung mit einem befreundeten Vorzeigepärchen beginnt, sein eigenes Verhältnis infrage zu stellen. Das psychologisch feingliedrige Beziehungsdrama wurde in Berlin mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, Minichmayr erhielt den Silbernen Bären als beste Darstellerin. Dann wurde es lange still um Ade, die sagt, dass sie sich für die Arbeit an einem Drehbuch immer viel Zeit lässt. Untätig war sie keinesfalls: Seit 2007 leitet sie zusammen mit Janine Jackowski und Jonas Dornbach die Produktionsfirma Komplizen Film, die für zahlreiche Arthaus-Hits mitverantwortlich zeichnet, darunter Arbeiten von Sonja Heiss, Miguel Gomes und Ades Ehemann Ulrich Köhler. Nun folgt also, sieben Jahre nach „Alle anderen“, die nächste Zwischenmenschlichkeitskino-Großtat: Toni Erdmann, so heißt die schrullige Kunstfigur, in deren Haut der scherzfreudige Alt-68er Winfried (Peter Simonischek) schlüpft, um seine Tochter Ines (Sandra Hüller) aus der Reserve zu locken. Diese ist als erfolgreiche Unternehmensberaterin in Rumänien stationiert. Ein Spontanbesuch ihres Papas bestätigt nur, wie wenig die beiden inzwischen verbindet. Doch Winfried will sich nicht abschütteln lassen: Mit schlecht sitzender Perücke und falschen Zähnen drängt er sich als Lebenscoach Toni in das Berufsleben seiner Tochter und provoziert ein (Rollen-)Spiel, das immer abstrusere Züge annimmt. Simonischek und Hüller harmonieren perfekt – das Ergebnis ausgiebiger Proben. Ade ließ sich von ihrem Vater zur Toni-Figur inspirieren: „Er hat ein beachtliches ironisches Repertoire. Irgendwann habe ich ihm falsche Zähne geschenkt, wie die von Winfried im Film. Wenn ihm eine soziale Situation zu steif wird, setzt er sie ein.“

Globalisiertes Wirtschaftsmilieu. Der Film bettet seine Handlung beiläufig in das kritische Berufsalltagsporträt eines globalisierten Wirtschaftsmilieus, doch ein satirischer Kommentar war nicht beabsichtigt: „Der Kontext betont in erster Linie den Generationskonflikt zwischen Ines und Winfried, der auch ein politischer Konflikt ist. Winfrieds Weltbild ist seiner Tochter viel zu naiv. Andererseits hat er ihr genau die Werte vermittelt, die ihr in ihrem Beruf zum Erfolg verhalfen, obwohl sie für ihn noch etwas ganz anderes bedeutet haben.“ Feminismus wurde für Ines zu Flexibilität: „Das ist typisch für ihre Generation“, erklärt Ade. „Wenn mich an der Filmschule jemand gefragt hätte, ob ich Feministin bin, hätte ich auch verneint, das schien kein Thema mehr zu sein. Auch für Ines gab es anfangs keine Probleme, aber je höher sie aufsteigt in der beruflichen Hierarchie, desto mehr nimmt sie die unsichtbaren Grenzen wahr.“

Die unterschwellige Spannung von „Toni Erdmann“ entlädt sich in längeren Sequenzen, die eine unglaubliche Eigendynamik entwickeln, etwa als Ines sich überraschend in die Gesangsperformance einer Whitney-Houston-Schnulze hineinsteigert. „Bei der Gesangsszene hatten wir sieben, acht Takes, in denen Sandra das Lied eher runterleierte. Ich zeigte ihr eine Probeaufnahme, in der sie mit großen, ausladenden Gesten auftrat, eine Parodie-Version, und bat sie: Mach es so, aber aggressiver. Was folgte, sieht man im Film – beim Dreh brachen Leute aus dem Team in Tränen aus, da wussten wir, es ist perfekt.“ Bleibt nur abzuwarten, ob Szenen wie diese beim regulären Kinopublikum nach dem Filmstart im Juli ebenso zünden wie in Cannes. Dass die knapp dreistündige Laufzeit Zuschauer überfordern könnte, fürchtet Ade nicht mehr: „Am Anfang hat uns das Sorgen bereitet, aber nach der Premiere sagten viele, der Film hätte ruhig noch länger dauern können.“

Steckbrief

Maren Ade
Geboren am 12. Dezember 1976 in Karlsruhe.
Studium Produktion, Medienwirtschaft und Spielfilm-Regie ab 1998 an der Hochschule für Fernsehen und Film in München.

Produktionsfirma
2001 gründete Ade mit Janine Jackowski die Komplizen Film, die 2003 Ades Abschlussfilm produziert: „Der Wald vor lauter Bäumen“.

Auszeichnung
2005 erhält „Der Wald vor lauter Bäumen“ beim Sundance-Festival den Spezialpreis der Jury.

Weitere Filme
„Alle andern“ mit B. Minichmayr, „Toni Erdmann“ mit P. Simonischek, ab 14. Juli im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2016)

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