„Stille Reserven“: Menschenfarmen der Zukunft

Stille Reserven
Stille Reserven(c) Filmladen
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Der Science-Fiction-Film „Stille Reserven“ vom Österreicher Valentin Hitz ist in Grundzügen stereotyp, insgesamt geglückt. Auch dank der Brillanz von Clemens Schick.

Irgendwann war die Zukunft noch ganz weit weg, heute scheint sie uns immer näher zu kommen – so nahe, dass einem fast unheimlich zumute wird. Das merkt man auch am Sci-Fi-Kino: Futuristische Fortschrittsutopien waren dort nie wirklich en vogue, nun sind sie geradezu ausgestorben. Zu groß ist die kollektive Skepsis gegenüber wissenschaftlichen und sozialtechnologischen Gegenwartstendenzen, deren Selbstläufer-Drall sie gegen Kontrolle und Reflexion immunisiert. Filmische Zukunftsvisionen brauchen längst keine neuen Ängste mehr zu erfinden. Es reicht vollkommen aus, bestehende zuzuspitzen. In „Stille Reserven“ von Valentin Hitz ist es die Angst vor der restlosen Eingliederung der menschlichen Existenz in ökonomische Verwertungszusammenhänge.

Schauplatz: Wien, knapp jenseits von morgen. Einst war im Leben nur der Tod umsonst, jetzt nicht einmal mehr das. Wer ohne teure „Todesversicherung“ das Zeitliche zu segnen droht, wird vom System – mächtigen Unternehmen, die sich den Staat als Handlanger halten – in einen vegetativen Zustand versetzt und muss etwaige Schulden als Organ-Ersatzteillager, mentaler Datenspeicher oder Leihmutter verbüßen. Nur die Reichen ruhen in Frieden.

In dieser Welt ist Vincent Baumann (super: Clemens Schick) einer der besten Assekuranz-Agenten (sprich: Todesversicherungsvertreter), tätig für die Großfirma EAR. Sein knallharter Karrierismus steht ihm ins Gesicht unter dem strengen Seitenscheitel geschrieben, das sich nur regt, wenn er auf seine Beruhigungspillen vergisst. Er kennt die Persönlichkeitsprofile seiner Kunden auswendig und wickelt sie mit aalglattem Charme um den Finger. Doch nachdem ein Beförderungsgesuch an der Widerborstigkeit eines wichtigen Klienten scheitert, wird er von seiner eiskalten Chefin (Marion Mitterhammer) degradiert – und als Informant auf die Aktivistin Lisa angesetzt (Lena Lauzemis), die mit ihrer Widerstandszelle plant, den Menschenfarmen seiner Auftraggeber den Saft abzudrehen. Trotz prophylaktischer Desensibilisierung entwickelt Vincent Gefühle für sein Zielobjekt und beginnt, seine Rolle zu hinterfragen.

Diese Zukunft ist grau in grau

Heimische Science-Fiction-Filme („Stille Reserven” ist eine Koproduktion zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz) lassen sich an einer Hand abzählen. Am bekanntesten ist wohl Florian Flickers Debüt „Halbe Welt“, vielleicht kann man auch Michael Syneks unlängst restaurierte Boris-Vian-Adaption „Die toten Fische“ dem Genre zuordnen. Valentin Hitz hat schon 1998 mit „Ratrace“ eine Dystopie-Miniatur kreiert und schließt mit seinem neuen Werk an diese an. In seinen Grundzügen ist der Film stereotyp: Die Erzählung vom eifrigen Systemerhalter, der nach einem Ausflug in den Untergrund Empathie für sich entdeckt und ins Straucheln gerät, kennt man nicht nur aus Kurt Wimmers „Matrix“-Abklatsch „Equilibrium“. Ähnliches gilt für die ästhetische Konzeption. Alles ist grau in grau, stocksteif und bevölkert von unterkühlten Figuren mit dem Habitus müder Vampire. Aber man muss „Stille Reserven“ hoch anrechnen, dass er überhaupt versucht, eine konsistente Atmosphäre aufrechtzuerhalten – und dass es ihm trotz seines moderaten Budgets gelingt.

Besonders sein Einsatz bestehender Schauplätze für die Kaschierung der Nähte seiner fiktionalen Welt ist beachtlich. Szenenbildner Hannes Salat hat ganze Arbeit geleistet: Max Dudlers rationalistische Innenarchitektur einer Bibliothek der Berliner Humboldt-Universität wird zum entmenschlichend symmetrischen Großraumbüro. Nachttrunkene Einstellungen Wiener Hinterhöfe und Straßenzüge (Kamera: Martin Gschlacht) wirken – stellenweise digital nachgeschminkt – wie die Echos einer kapitalistisch überformten Vergangenheit und fügen sich zu einem bedrückenden Gesamtbild, unterstützt von Balz Bachmanns schönem Soundtrack, der zwischen Synthesizer-Klängen und Traumwandler-Jazz wechselt.

In dieser Noir-Nacht gibt es dann auch einen schmuddeligen Club mit dekadentem 1920er-Flair, wo die androgyne Lisa die laszive Verführungsballade „Teach Me Tiger“ intoniert, um Vincent den Kopf zu verdrehen. Es sind solche stilbewussten Kinomomente, die „Stille Reserven“ sehenswert machen – weniger das durchwachsene Schauspiel, die wohl beabsichtigte, aber zum Teil trotzdem irritierend hölzerne Dialogführung oder die gleichermaßen simple wie verworrene Handlung: Besonders in seiner zweiten Hälfte verkommen viele Szenen zu verknappten Plotpunktkettengliedern. Doch man verzeiht es gern: Genrefilme, deren Stimmung die Erzählung hinter sich lässt, gibt es im deutschsprachigen Raum ohnehin viel zu selten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2016)

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