„Logan“: Die Leiden des alten Wolverine

Ein ungleiches Paar mit außergewöhnlichen Kräften: Hugh Jackman und Dafne Keen in „Logan“.
Ein ungleiches Paar mit außergewöhnlichen Kräften: Hugh Jackman und Dafne Keen in „Logan“.(c) Centfox
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Mit dem dritten Wolverine-Film zeigt Regisseur James Mangold ultrabrutales, aber fragiles Superheldenkino. Hugh Jackman brilliert als gebrochener, leidender Mann. Ein Comicfilm-Äquivalent zu Johnny Cashs berührender Spätphase.

„What have I become, my sweetest friend? Everyone I know goes away in the end.“ Im Spätherbst seiner Karriere und seines Lebens interpretierte der große Johnny Cash einen großen Song von Nine Inch Nails, „Hurt“. Es sollte zu einer Art von musikalischem Epitaph auf ihn selbst werden. Es ist passend, dass im ersten Trailer zum dritten Wolverine- und insgesamt zehnten X-Men-Film „Logan“ eben Cashs Jahrhundertcover zu hören ist. Hugh Jackman, der zum neunten Mal in der Rolle des schier unsterblichen und mit außergewöhnlichen Regenerationsfähigkeiten und Klauen ausgestatteten Mutanten Wolverine (seit einem militärischen Experiment ist sein Skelett mit einer Adamantium-Legierung verstärkt) zu sehen ist, ist im Jahr 2029 ein anderer: ein gebrochener Mann mit geringem Lebenswillen, der jeden, den er je geliebt hatte, verloren hat und sein Leid im hochprozentigen Alkohol ertränkt.

Aus tiefer Verbundenheit zu Professor Charles Xavier (fantastisch: Patrick Stewart) pflegt er den an Alzheimer erkrankten, ehemaligen Leader der X-Men in einem abgewrackten Wasserturm in der Wüste, nahe der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Der Albino-Mutant Caliban (Stephen Merchant) ergänzt die ungewöhnliche Wohngemeinschaft. Für Logan macht das Leben keinen Sinn mehr. Aber er hat es sich zum Ziel gemacht, genug Geld zu verdienen, um den Professor den Lebensabend in einer angenehmeren Umgebung zu ermöglichen. Dafür kutschiert er in einer Partylimousine feierwütige Teenager reicher Eltern herum. Eines Tages taucht eine Mexikanerin in Logans Leben auf. Sie bittet ihn, sie und das junge Mädchen Laura (Dafne Keen) nach North Dakota, nahe der kanadischen Grenze zu bringen und bietet Logan dafür mehrere Zehntausend Dollar. Professor X, der in Sorge um die Existenz der mittlerweile als illegal geltenden Mutanten ist, sieht in Laura etwas Besonderes. Für das Mädchen scheint sich auch eine mysteriöse Organisation zu interessieren. Deren schwer bewaffnete Schergen, angeführt von einem Cyborg (Boyd Holbrook, bekannt aus der Netflix-Serie „Narcos“), wissen über Lauras außergewöhnliche Kräfte Bescheid . . .

Keine Jugendfreigabe

James Mangolds grimmiger „Logan“ ist hart – womöglich der härteste Superheldenfilm, der je im Kino angelaufen ist. Der Bodycount ist enorm hoch. Hugh Jackman, der 2000 erstmals als Wolverine zu sehen war, soll Gehaltseinbußen in Kauf genommen haben, damit der Streifen in den USA ein R-Rating (also eine Freigabe erst ab 17 Jahren) bekommt. Dass Comicverfilmungen nun nicht mehr ausschließlich mit PG-13-Wertung ins Kino kommen, ist auch ein Verdienst eines anderen Comicstreifens, „Deadpool“ (2016). Der ähnlich brutale, aber ungleich ironischere Film spielte im Vorjahr mehr als das Zehnfache der für dieses Genre mickrigen Produktionskosten von 58 Millionen Dollar ein.

Wenn auch „Logan“, der im Vorfeld hymnische Kritiken erhalten hat, ein Kassenschlager wird, könnte dies einen Paradigmenwechsel in der Zielgruppenorientierung bedeuten. Doch nicht nur das teils ausufernde Gemetzel, das in punkto Brutalität jenem in der Serie „The Walking Dead“ um nichts nachsteht, geht unter die Haut: „Logan“ ist ein tiefgründiges, emotionales Action-Drama, das für Blockbuster relativ stringentes Storytelling bietet. Es ist mehr ein Outlaw-Western und ein Roadmovie alter Schule als ein Superheldenfilm – und der bis dato wohl beste Teil der X-Men-Reihe. Regisseur James Mangold, der auch den zweiten, mittelprächtigen Wolverine-Film inszeniert hatte, verzichtet auf unnötige CGI-Effekte, augenzwinkernde Cameoauftritte, Superheldenkostüme und anderen aus dem Genre bekannten Firlefanz. Kürzen hätte man aber auch die Filmlänge: Mit 140 Minuten ist „Logan“ um zehn bis 15 Minuten zu lang.

Logan entdeckt X-Men-Hefte bei Laura

Der Cast ist dafür exzellent. Hugh Jackman läuft auch im Anzug und Rauschebart (frappante Ähnlichkeit zu Mel Gibson) zur Hochform auf. Er bietet eine fesselnde, stellenweise meisterhafte schauspielerische Leistung. Nicht weniger sehenswert, glaubwürdig und berührend ist Patrick Stewart als von einer schweren Krankheit gezeichneter Professor X – selten (eigentlich nie!) hat man Charles Xavier so fluchen gehört wie in diesem Film. Diese Szenen gehören zu den wenigen schwarz-humorigen Momenten. Eine andere ist, als Logan X-Men-Hefte bei Laura entdeckt. Die 11-jährige Dafne Keen bringt eine ähnlich faszinierende Präsenz auf die Leinwand wie zuletzt Millie Bobby Brown als Eleven in der Netflix-Serie „Stranger Things“. Der dritte Wolverine-Teil thematisiert Alter, Vergänglichkeit, Abschied, Leid, Moral und Familie wie noch kein anderer Superheldenstreifen zuvor. Wenn es ein Comicfilm-Äquivalent für die „American Recordings“, die düster-fragile Spätphase von Johnny Cash gibt, dann ist es wohl „Logan“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2017)

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