Kino

"Hilfe beim Zaubertrank": Drogenalltag aus Kinderaugen

Verena Altenberger spielt überzeugend eine Frau, die zwischen Depression, Sucht und Mutterliebe für ihren Buben (Jeremy Miliker) aufgerieben wird.
Verena Altenberger spielt überzeugend eine Frau, die zwischen Depression, Sucht und Mutterliebe für ihren Buben (Jeremy Miliker) aufgerieben wird.(c) © /SWR/ORF/RitzlFilm/Lailaps Pi (Hendrik Heiden)
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Ein Abenteuerspielplatz zwischen Elend und Hoffnung: In „Die beste aller Welten“ verfilmte Adrian Goiginger seine eigene Kindheit als Sohn einer heroinabhängigen Mutter.

„Du darfst mir helfen, einen Zaubertrank zu machen“, verkündet Helga ihrem Sohn und lächelt. „Ja!“, freut sich Adrian. Aber, stellt die Mutter klar: Es wird einen Trank für ihn und einen für die Erwachsenen geben. Adrian hat keine Einwände. Sorgfältig zerbröselt er getrockneten Schlafmohn über einem großen Kochtopf. Die Zauberzutat für den Kindertrank sei geheim, sagt die Mutter: Adrian muss die Augen schließen, bevor sie einen Beutel Früchtetee auftrennt und in einen kleineren Topf leert. Noch ein Apfelstängel und ein Lorbeerblatt, ein paar Runden mit dem Kochlöffel und ein Zauberspruch für jeden der beiden Töpfe auf dem Herd – fertig. Ob auch Abenteurer diesen Zaubertrank trinken, fragt Adrian. Genau diesen, erklärt Helga.

Das findet Adrian gut, denn Abenteurer will er werden, wenn er groß ist. Seine Mutter sagt, das gehe. Sein Leben ist jetzt schon ein Abenteuerspielplatz, es gibt Lagerfeuer am Fluss, Camps im Wohnzimmer, Fußball im Park. Er darf mit Schweizer Krachern zündeln und den Freunden seiner Mutter seine fantasievollen Geschichten vorlesen. Die Welt, in der er lebt, ist für ihn „Die beste aller Welten“: So heißt der Film von Adrian Goiginger, in dem er die Geschichte seiner eigenen Kindheit verfilmt. Als intensives, sehr emotionales Drama: Denn seine mittlerweile an Krebs verstorbene Mutter, im Film großartig verkörpert von der Salzburger Schauspielerin Verena Altenberger, war heroinabhängig. Ihr Alltag schwankte zwischen Junkiegelagen und Jausenbrotstreichen, zwischen existenziellen Nöten und dem Bestreben, ihrem Sohn ein Gefühl von Geborgenheit und Normalität zu geben.

Dealer und Dämonen

Altenberger schafft es, den inneren Konflikt dieser Figur nach außen zu tragen: Da sind die innere Leere und die Depression, da ist die kompromisslose Liebe für ihr Kind – und die Sucht, die sie trotzdem nicht überwinden kann. Goiginger inszenierte ehrlich und sensibel, über weite Strecken ohne Pathos, ohne das Elend zu beschönigen, ohne auf der Mitleidsschiene zu fahren: Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen Mutter und Sohn (ein großes Talent: Jeremy Miliker, der einiges improvisiert hat). Der Balanceakt, den die verzweifelte Mutter vollbringt. Und die Selbstverständlichkeit, mit der der Bub sein alles andere als sicheres Zuhause liebt.

Erzählt wird aus seiner Perspektive, auch die Kamerabilder fangen seine Sicht ein: Es ist ein ruheloser, wacher Blick in die Welt. Auf die mit Zeitungspapier zutapezierte Badezimmertür, hinter der die Erwachsenen sich manchmal einschließen. Auf den Körper, der nach einer Überdosis im Schlafzimmer liegt, während im Fernsehen „Tom Turbo“ läuft. Und auf die hellgrünen Landschaften, in denen die Familie in guten Zeiten ausgelassene Nachmittage verbringt. Dazu ziehen sich Traumsequenzen durch den Film: Nebelige Bilder von bärtigen Abenteurern und angeketteten Ungeheuern. Die Flucht des Buben in eine Fantasiewelt. Aus dieser schöpft Helga auch, wenn sie ihm Erklärungen für die oft befremdlichen Vorkommnisse in den eigenen vier Wänden liefert: Der Dealer, der Adrian zum Wodkatrinken drängen wollte, sei halt von einem Dämon besessen.

Die Geschichte ist schmerzhaft, aufwühlend – umso mehr, als sie wirklich passiert ist. Nur für das Ende des Films erlaubte sich Goiginger eine dramaturgische Zuspitzung. Ein christliches Therapieprogramm, das im Lauf des Films immer wieder genannt wird, um an die Möglichkeit eines Ausstiegs zu erinnern, erscheint dann als wundersame Rettung, die die Welt ganz bildlich wieder heller und freundlicher macht. Gar plakativ, denkt man sich. Und freut sich trotzdem, dass den Dämonen eins ausgewischt wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2017)

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