„A Ghost Story“: Weihnachtsfilm für Existenzialisten

Steckt unter diesem Tuch wirklich Casey Affleck? Neben ihm sitzt hier jedenfalls Rooney Mara.
Steckt unter diesem Tuch wirklich Casey Affleck? Neben ihm sitzt hier jedenfalls Rooney Mara.(c) UPI
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Was bleibt vom Leben, vom Menschen, von der Welt? David Lowery gibt in seinem Trauer-Kammerspiel „A Ghost Story“ keine klare Antwort. Zum Glück.

Der Geist, der durch die Hallen des Spitals gleitet, ist nicht gerade zum Fürchten: ein weißes Leintuch, zwei schwarze Augenlöcher, das war's. Unter dem Tuch zeichnet sich die Form eines menschlichen Körpers ab, wie bei einem billigen Halloween-Kostüm. Ziemlich albern, dieser Anblick. Aber keiner nimmt davon Notiz.

Plötzlich tut sich am Ende des Gangs ein Portal auf, strahlend und klar. Eine Einladung. Reglos steht das Gespenst vor der glimmenden Pforte. Kurz darauf verschwindet sie wieder – ebenso unvermittelt, wie sie erschienen ist. Und das karge Laken bleibt einsam zurück. Auf einmal sieht es gar nicht mehr so albern aus. Sondern tieftraurig.

Weiße Leintücher sind gute Projektionsflächen. Das macht sich David Lowery in seinem ungewöhnlichen neuen Film „A Ghost Story“ zunutze. Die erwähnte Spukgestalt ist nämlich dessen Hauptfigur – und dient dem Zuschauer als Gefühlsableiter im Zug einer intensiven Kinoreise. Wer angesichts des Titels Schockeffekte erwartet, wird enttäuscht: Die Schauer, die einem hier über den Rücken laufen, sind existenzieller Natur.

Unter dem Tuch steckt Casey Affleck (meint jedenfalls der Regisseur – überprüfen kann man's nicht). Er spielt einen Musiker, der mit seiner Frau (Rooney Mara) in der texanischen Provinz lebte. Tagsüber sphärische Indie-Pop-Songs schreiben, abends Kuscheln auf der Couch: Ein glückliches Leben voller Liebe, aus dem ihn ein Autounfall riss. Verständlich, dass er nach dem Tod wieder in sein geräumiges Haus schleicht.

Aber direkten Kontakt zur Herzensdame aufnehmen, wie Patrick Swayze in „Ghost – Nachricht von Sam“: Keine Chance. So sind die Regeln der Geisterwelt, da braucht man gar nicht viel erklären. Das Leintuch bleibt den ganzen Film über stumm. Nur mit anderen Geistern aus umliegenden Häusern wechselt es ein paar Worte, die als Untertitel erscheinen – ein witziger Effekt.

Sonst ist an „A Ghost Story“, trotz schrulliger Prämisse, nur wenig witzig. Der Grundgestus ist melancholisch – mal bitter, mal wohlig. Und formal nimmt sich Lowery für einen Film, der auch in Multiplex-Kinos gezeigt wird, einiges heraus. Da werden wir stille Zeugen, wie die Hinterbliebene jäh von Trauerstarre erfasst wird, sich auf den Küchenboden fläzt und einen ganzen Schokokuchen verspeist. In einer fünfminütigen, statischen, ungeschnittenen Einstellung. Vor allem anfangs sind die seidigen 4:3-Aufnahmen des Films von gewagter Langsamkeit.

Lowery ist vertraut mit der Ästhetik des internationalen Kunstkinos: Als Einflüsse nennt er Chantal Akerman, Carlos Reygadas und Apichatpong Weerasethakul. Allerdings hat er auch Großfilm-Erfahrung: „Pete's Dragon“, das sehenswerte Remake des Disney-Klassikers „Elliot, das Schmunzelmonster“, hat ihm maßgeblich dabei geholfen, das Budget für sein jüngstes Werk aufzustellen.

Als Fantasy-Drama würde „A Ghost Story“ sogar unters Disney-Dach passen. In der zweiten Hälfte weicht die Sprödheit stetig aus dem Film. Er wird weicher, wärmer, wendiger. Und eine weitere Inspirationsquelle schält sich heraus: Terrence Malick. Denn wie dieser Kino-Kosmologe ist auch Lowery an den ganz großen Fragen interessiert. Die Uhr geht immer schneller, und das intime Trauer-Kammerspiel wird vom Winde verweht. Bald ziehen neue Mieter ins Haus des Musikers. Wieder und wieder und wieder. Und irgendwann ist das Haus selbst nicht mehr da. Dann blickt das arme Leintuch zum Sternenhimmel und fragt sich: Was bleibt? Vom Leben, vom Menschen, von der Welt? Nichts als Asch' und Bein?

Eine klare Antwort bleibt Lowery schuldig – zum Glück. Seine Meditation über Vergänglichkeit will vor allem das sein: eine Meditation. Doch die Stimmung, mit der sie einen zurücklässt, hat etwas Tröstliches. In gewisser Hinsicht ist „A Ghost Story“ auch ein Weihnachtsfilm. Einmal taucht er den Zeh ins Nihilismus-Becken, mit der Rede eines vom Folk-Sänger Will Oldham gespielten Partygastes, der lang von der Vergeblichkeit allen Strebens schwadroniert. Doch der Sturz ins Nichts wird abgefangen – nicht zuletzt von Daniel Harts betörender, wenn auch etwas aufdringlicher Streichermusik.

„Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte“, sagte David Foster Wallace. Vielleicht gilt es auch andersherum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2017)

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