50 Jahre „Columbo“: Das Bauchgefühl des Ermittlers

Der ORF spielte die vielen Folgen  der Krimiserie wiederholt.
Der ORF spielte die vielen Folgen der Krimiserie wiederholt. ORF
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„Da wäre noch eine Kleinigkeit“ ist der Satz, den wir durch den tapsigen Inspektor seit 50 Jahren im Fernsehen hören. Was hat er mit Dostojewski, Woody Allen und Steve Jobs zu tun?

Wer nicht im Milieu des Verbrechens lebt, unterscheidet gern die Guten und die Bösen, die sich hier herumtreiben. Klar, wer die Bösen sind, die Guten sind dann diejenigen, die das Verbrechen mit ihren Ermittlungen verfolgen. Was sie tun, ist einem positiven Zweck verpflichtet, die Verfahren, die sie anwenden, gelten als legitim. Greifen sie zum Mittel der Hinterhältigkeit, um den Täter in die Falle zu locken, sieht man das als berufliche Geschicklichkeit, auch wenn es über raffinierte Psychologie hinausreicht und sogar bis zu Täuschungen, Provokationen und Überlistungen geht.

In der Literatur ist die Interaktion zwischen Verdächtigtem und Verfolger ein beliebtes Spannungselement, in der berühmten amerikanischen Krimiserie „Columbo“, deren erste Folge vor 50 Jahren, am 20. Februar 1968, erstmals ausgestrahlt wurde, macht sie den Großteil der Handlung aus. Hauptfigur ist Lieutenant Columbo (bei uns Inspektor Columbo), der bei der Mordkommission des Los Angeles Police Department arbeitet und von Peter Falk dargestellt wird. Die Serie lief bis 2003, Peter Falk alterte mit ihr mit.

Columbo
Columbo(c) Premiere

Schon 1960 erschien die Figur des Columbo kurz in einer Serie, 1962 entstand das Bühnenstück „Mord nach Rezept“, auch hier taucht er auf: Vorbild war nachgewiesenermaßen der Untersuchungsrichter Porfirij Petrowitsch aus Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne“, einem der bekanntesten Werke der russischen Literatur aus dem Jahr 1866 (auch übersetzt als „Verbrechen und Strafe“). Thomas Mann nennt das Buch den „größten Kriminalroman aller Zeiten.“ Fernsehserie und Roman sind stark dialoglastig und gehen von der Erkenntnis aus, dass es weit spannender sein kann, dem Zuschauer/Leser als Voyeur einen Informationsvorsprung zu geben, während die  Ermittler noch im Ungewissen bleiben.

Dostojewski und Woody Allens „Match Point“

Eine Omnipotenzfantasie führt Dostojewskis Hauptfigur, den Studenten Rodion Raskolnikow, zum Mord. Er hat sich eine Menge Theorie über „Übermenschen“ angelesen, selbst darüber geschrieben und gesteht dem „außergewöhnlichen“ Menschen die Befugnis zu, für seine Ideen über Leichen zu gehen. So erschlägt er eine alte Wucherin und deren Schwester, die ihn bei der Tat überrascht. Gemordet wird aus einem Gefühl, das wir heute bei den sogenannten „Ehrenmorden“ kennen: Ich habe das Recht, das zu tun. Im 19. Jahrhundert verband man diesen Anspruch mit der Figur Napoleons: Wer im Dienste einer großen Idee steht, darf alle Moralmaßstäbe außer Acht lassen. Woody Allen hat sich in seinem gnadenlos harten Film „Match Point“ davon inspirieren lassen: Der gerechte Mord, motiviert von einer großen Idee, spukt auch seinem Helden Chris im Kopf herum. Woody Allen lässt ihn in einer Szene das Dostojewski-Buch lesen.

Zu den Höhepunkten des Romans gehören die Dialoge zwischen Raskolnikow und dem Untersuchungsrichter Porfirij Petrowitsch: Die beiden stehen intellektuell auf einer Ebene und liefern sich zum Vergnügen des Lesers einen rhetorischen Schlagabtausch nach dem anderen: Jeder von den beiden weiß, dass der andere Bescheid weiß – das Katz-und-Maus-Spiel kann beginnen!

Folgt man Hans-Georg Gadamers Theorie des Gesprächs, handelt es sich beim Verhör nicht um echte Gespräche mit gleichberechtigten Teilnehmern, sondern um ein Pseudo-Gespräch, bei dem nur einer das Sagen hat und der Gesprächspartner nicht wirklich zu Wort kommt. Die Souveränität dessen, der verhört, zeigt sich vor allem dann, wenn er gar keine haltbaren Beweise zur Hand hat, auf denen das Verhör beruht. Bei Raskolnikow und Columbo handelt es sich genau genommen gar nicht um Verhöre im streng juristischen Sinn, denn die Verdächtigen werden nicht vorgeladen, um verhört zu werden. Porfirij besucht Raskolnikow in seinem engen Zimmer, auch Columbo läutet an, um ein anscheinend belangloses Gespräch zu führen, bei dem er sich schusselig, naiv und unkonzentriert zeigt, bis er mit seiner „letzten Frage“ dem Kern der Sache unerwartet rasch naherückt.

Nebenbei: Auch Steve Jobs dürfte ein „Columbo“-Fan gewesen sein: Er hielt bei seinen Großveranstaltungen eine Rede, kam dann zum Schluss und sagte „da wäre noch eine Kleinigkeit“ („just one more thing“), um dann Produkte wie iPod oder iPhone vorzustellen, nach denen die Welt nicht mehr dieselbe war.

Das Spiel „über die Bande“

Für Kriminalisten ist Porfirij Petrowitsch die interessantere Figur als die Hauptperson Raskolnikow. Der Untersuchungsrichter (auch Columbo) hat keinen Beweis, nur die Gewissheit, dass er einem Mörder gegenübersitzt, dennoch behauptet er ständig, keineswegs an die Schuld Raskolnikows zu glauben. So spielt er geschickt den Beschuldigten „über die Bande“ an, für den Leser ist klar: Er will ihn zermürben und zu einem Geständnis treiben, er will in dem Reuelosen ein Schuldgefühl produzieren. Letztendlich legt Raskolnikow das Geständnis ab, weil er sich für überführt hält, nicht weil ihn die Tat belastet.

Liest man nach, wie Dostojewski den Beamten beschreibt, muss man immer wieder an den nachlässig gekleideten, kleingewachsenen Inspektor Columbo mit seinem Trenchcoat und seinem zerknitterten Gesicht denken: „Porfirij Petrowitsch war häuslich bekleidet, trug einen Schlafrock, ... an den Füßen ausgetretene Pantoffeln. Er war ein Mann von etwa fünfunddreißig, nicht ganz mittelgroß, beleibt, sogar mit Bäuchlein … das schwammige, runde leicht stupsnasige Gesicht … ziemlich wach und sogar spöttisch. Man hätte es fast gutmütig nennen können, wäre nicht der Ausdruck seiner wässerigen, farblos glänzenden Augen unter den fast weißen, zuckenden Wimpern gewesen, mit denen er einem unentwegt zuzuzwinkern schien.“

Beide entnerven ihr Gegenüber

Gemeinsam haben die beiden Ermittler auch die nach außen hin überaus höfliche und zuvorkommende Art, mit der sie das Gespräch führen und eine Beziehung aufbauen. Es sind keine harten Befragungen, das Verhör zeigt Respekt gegenüber dem vermutlichen Täter und nie Verachtung. Vor allem: Der untersuchende Beamte ist kein Moralapostel und kann seine persönlichen Gefühle beherrschen, unabhängig davon, wie schlimm die Tat ist. Der schäbigste Trick, den Porfirij Petrowitsch anwendet: Er schickt Polizeibeamte in Zivil los, um Raskolnikow auf offener Straße „Mörder!“ entgegenzuzischen und eine  Reaktion zu provozieren.

Beide warten bei ihrer unermüdlichen Suche nach Schwachstellen auf eine unbedachte Aktion oder Äußerung des Verdächtigen. Beide triumphieren am Ende, wenn sie den Mörder überführt haben, nicht, fast schimmert so etwas wie Mitgefühl durch, in all ihren Verstrickungen erscheinen die Täter selbst fast als Opfer. 

Columbo entnervt sein Gegenüber mit Fragen, zugleich sucht er Beweise, um den Täter zu überführen. Mit Letzterem beschäftigt sich Porfirij Petrowitsch gar nicht: Er weiß, dass es manche Verbrecher mit den „Nerven“ haben, das sind dann seine „Opferlämmchen“, die ihm „psychologisch nicht entfliehen“ können, auch wenn er sie gar nicht in Haft nimmt, sondern nur Druck ausübt. Wie ein Schmetterling wird der Verdächtige „immer wieder um mich wie um eine Kerze seine Kreise ziehen; er wird den Geschmack an der Freiheit verlieren, er wird grübeln, er wird sich verstricken, er wird sich in sich selbst wie in einem Netz verstricken und sich zu Tode ängstigen.“

2009 brachten die Salzburger Festspiele eine Dramatisierung von „Schuld und Sühne“ auf die Bühne des Landestheaters, Andrea Breth führte Regie, die Zuschauer, durchaus geplagt von der Länge der Inszenierung, amüsierten sich über Udo Samel als Darsteller des Porfirij Petrowitsch: Seine Anlehnung an Columbo war unübersehbar. 

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