„Avengers: Infinity War“: Frühjahrsputz im Superheldenkäfig

Vereint: Doctor Strange (Benedict Cumberbatch), Iron Man/Tony Stark (Robert Downey Jr.), Bruce Banner/Hulk (Mark Ruffalo) und Wong (Benedict Wong).
Vereint: Doctor Strange (Benedict Cumberbatch), Iron Man/Tony Stark (Robert Downey Jr.), Bruce Banner/Hulk (Mark Ruffalo) und Wong (Benedict Wong).(c) Marvel Studios
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„Avengers: Infinity War“ ist der Blockbuster, auf den viele gewartet haben: (Fast) alle Marvel-Helden kämpfen darin gegen den ultimativsten aller ultimativen Gegner. Eine spektakuläre Allzweckseifenoper mit Stimmungsschwankungen.

Schon lange grübeln Kosmologen, ob, wie und wann unser Universum ein Ende finden wird. Manche von ihnen glauben an den „Big Crunch“: Dieser Theorie zufolge nimmt die sogenannte Dunkle Energie, eine Triebkraft hinter der Expansion des Weltalls, stetig ab. In ein paar Jahrmilliarden könnte dieser Schwund einen Umkehrprozess in Gang setzen: Statt sich auszudehnen, schrumpft der Kosmos nach und nach in sich zusammen – bis zur Implosion.

Manchmal wundert man sich, warum dieses Schicksal dem Superheldentummelplatz des Marvel Cinematic Universe bislang erspart blieb. Seine Bevölkerungsdichte steigt mit jedem Film, ohne Rücksicht auf Überschaubarkeit. Wer soll sich da noch auskennen? Überraschend viele, wie sich herausstellt: Fans erfreuen sich am steigenden Wert ihres geheimen Wissens, und die globale Kino-Laufkundschaft scheint der Heldenwildwuchs nicht zu stören – solange er Galionsfiguren wie Iron Man und Captain America nicht überwuchert.

Spoiler-Warnung: Es folgen Angaben zum Inhalt des Films

Aber langsam stößt Marvels Käfig voller Helden an die Grenzen der Belastbarkeit. Nun blasen die Verantwortlichen mit den Trompeten großflächigen Marketings vorbeugend zum Frühjahrsputz. Zehn Jahre und 18 Filme lang haben doch einige auf diesen Moment gewartet: „Avengers: Infinity War“ schmeißt (fast) alle Marvel-Heroen auf einen Haufen, um ihre Welt in Form einer kontrollierten Detonation über selbigen zu werfen.

Wer hat 18 Filme lang brav aufgepasst?

In den Comics sind solche Gipfeltreffen gang und gäbe – dort heißen sie „Crossover Events“. Schon in den Achtzigern kam es im Zuge der „Secret Wars“ zur großen Keilerei: Ein Bösewicht namens Beyonder entführte beliebte Marvel-Stars auf einen fremden Planeten und ließ sie dort Gladiatorenkämpfe ausfechten. „Infinity War“ geht indes auf ein Bildbandgroßereignis aus dem Jahr 1991 zurück: Todes-Titan Thanos (nach allen ultimativen Endgegnern nun der wirklich ultimativste End-Endgegner) wirft der Erde seinen Fehdehandschuh hin. Dieser birgt Fassungen für die Infinity Stones, sechs magische Edelsteine. Wer sie beisammen hat, kann per Fingerschnippen die halbe Menschheit auslöschen: Thanos‘ erklärtes Ziel.

Der Film beginnt in medias res mit einer Machtdemonstration des Oberschurken. Wer bei den letzten 18 Teilen der Marvel-Saga brav aufgepasst hat, darf gleich mitfiebern, alle anderen müssen auf einführende Worte warten. Der ausgedehnte Auftakt von „Infinity War“ tickt wie folgt: 10 Minuten Erklärgeplänkel, 5 Minuten Action, repetitio ad infinitum. Schließlich müssen der Handlung massig Hauptfiguren zugeführt werden. Wo ist er denn, der Spiderman? Schon kommt er um die Ecke geschwungen. Und die retro-lässigen Guardians of the Galaxy?

Schon schlängeln sich die funkigen Klänge eines Siebzigerhits ins Ohr. Währenddessen cruist Thanos durch die Galaxis und sammelt Superwaffenstückerl. Seine Stärke wächst. Die Zahl der Helden auch – auf Schauspielernamen muss in dieser Kritik aus Platzmangel verzichtet werden. Sind es 30? 67? 76? Wer zählt schon mit? (Die Fans.)

Avengers: Infinity War
Avengers: Infinity WarMarvel Studios

Das erratische Digitalweltenhopping – ein Desktophintergrund schöner als der andere! – dürfte zumindest auf Uneingeweihte eher ermüdend wirken. Ebenso die permanenten Stimmungsschwankungen. Just schmissen sich Schmähtandler wie Starlord und Tony Stark noch Sprüche zu, schon wechselt die Szenerie ins Erhabene, Gefühlslage: bewölkt. Dann kurz einen Abstecher nach Wakanda zum Black Panther – und schnell wieder retour.

Aber gut: Irgendwann sind endlich, endlich alle Figuren etabliert, und dann geht's ans Eingemachte. Das da wäre: Pathos, Pathos, Pathos. Rettungen in letzter Sekunde, Wiederkunft von Verlorengeglaubten, wallender Teamgeist. Und, als Draufgabe, periodische Gefühlsspritzen aus Marvels Allzweckseifenoper: Väter und Töchter, Brüder und Schwestern, Freunde und Feinde, Schützlinge und Mentoren, Liebende und Auseinandergelebte, sie alle dürfen sich reihenweise streiten und versöhnen, Opfer bringen, trauern und in Raserei verfallen. Sogar der große Widersacher Thanos, ein lila Riese mit geriffeltem Kinn, vergießt Tränen.

Avengers: Infinity War
Avengers: Infinity WarMarvel Studios

Ungewohnt berückende Stille

Wer im Geschichtsknäuel Marvels verstrickt ist, wird oft zum Taschentuch greifen. Andere wohl seltener. Kompensation liefert das Spektakel, ein gewitztes Potpourri aus fantastischen Fähigkeiten. Wobei man nach zweieinhalb Stunden auch davon genug hat. Dafür besticht der Schluss mit berückender Stille. Ziel ist ein melancholischer Schwebezustand wie in „Das Imperium schlägt zurück“ oder im vorletzten „Harry Potter“-Film. O Augenblick, verweile doch, liegt einem auf der Zunge – so ungewohnt ist die Atmosphäre im Blockbuster-Kontext. Doch der „Infinity War“ ist natürlich nicht vorbei. Fortsetzung folgt 2019. So ein „Big Crunch“ braucht Weile. Notfalls Jahrmilliarden.

Das Marvel-Kinouniversum

Superhelden. 2008 erschien mit „Iron Man“ der erste Kinofilm, den Marvel allein produzierte. 19 Filme spielen mittlerweile im Marvel Cinematic Universe, das auch Serien wie „Jessica Jones“ und „Luke Cage“ einschließt. Die Filme sind durch Handlungsstränge und Figuren verbunden, vom ursprünglichen Comicuniversum aber unabhängig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2018)

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