„A Beautiful Day“: Dieser Mann hat zu viel gesehen

Zuweilen fast kindliche Züge: Joaquin Phoenix als Joe, hier mit  Ekaterina Samsonov als Nina.
Zuweilen fast kindliche Züge: Joaquin Phoenix als Joe, hier mit Ekaterina Samsonov als Nina.(c) Constantin Film
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Joaquin Phoenix als von Gewalt gegen Frauen traumatisierter, abgestumpfter Sonderling: „A Beautiful Day“, ein außergewöhnlicher impressionistischer Thriller.

Als der Knüppelhieb von hinten auf ihn niedergeht, macht der Mann im grauen Hoodie keinen Mucks. Stattdessen schnellt er reflexartig um; Kopfstoß, Knock-out. Sein Blick verweilt kurz auf dem geplätteten Angreifer, abwesend, entrückt. Schon verschwindet er in der New Yorker Nacht.

Wer ist dieser Abgestumpfte? Was hat ihn bloß so ruiniert? Eben sind noch Schnipsel seines Tagwerks am Zuschauer vorbeigeflattert: ein blutiger Hammer, Handyzerlegung, Tatortreinigung. Genug, um Neugierde zu wecken, nicht genug, um sich zu orientieren. Doch die Puzzleteile werden sich zusammenfügen, Stück für Stück. Eindrücke, portioniert mit dem Salzstreuer: So erzählt Lynne Ramsays außergewöhnlicher Thriller „A Beautiful Day“.

Im Original heißt er – passender, weil mysteriöser – „You Were Never Really Here“, wie die Buchvorlage von Jonathan Ames. Nie richtig da: Das ist Joe, der Mann im Kapuzenpulli, wuchtig verkörpert von Joaquin Phoenix. Ein dumpfer Vollstrecker mit Sandlerhabitus: hängende Schultern, steifes Gebaren, wuchernder Vollbart. Zugleich fast schon kindliche Züge von Zärtlichkeit und Verletzlichkeit, besonders im Umgang mit seiner wirren alten Mutter. Beim Auftraggeber nascht er Bonbons aus der Glasschale. Joe, so viel darf verraten werden, befreit junge Frauen aus den Klauen von Menschenhändlern – mit roher Brutalität. Nur die reichsten Klienten können sich seine Dienste leisten. Er hat schon viel gesehen. Zu viel. Und das Grauen seines Arbeitsalltags ist bloß die Spitze des Trauma-Eisbergs.

Weitgehend auf Dialoge verzichtet

Eine typische Figur für die schottische Regisseurin Ramsay („We Need To Talk About Kevin“): Entfremdet von vergangenen Erfahrungen, eingekapselt in ihre subjektive Wahrnehmungswelt, der die filmische Form Ausdruck verleiht. Die Handlung verläuft linear, doch die Montage bleibt erratisch und lückenhaft, wie die verstümmelte Erinnerung des Protagonisten. (Zuweilen erinnert sie an den britischen Kinoimpressionisten Nicolas Roeg.) Auf Dialog verzichtet „A Beautiful Day“, wo es geht. Gewalt geschieht im Off oder unter den teilnahmslosen Augen von Überwachungskameras. Dafür branden immer wieder Schlüsselszenen aus Joes Leben auf, Gespenster aus alten Zeiten. Manchmal fällt es schwer, Realität und Einbildung zu unterscheiden. Langsam gerinnt das Bild eines Mannes, der von omnipräsenter Gewalt gegen Frauen emotional entkernt wurde. Mit dem Plastiksack über dem Kopf übt er zur Beruhigung den Selbstmord.

„A Beautiful Day“ wurde verglichen mit Scorseses „Taxi Driver“ – und mit „Drive“ von Nicolas Winding Refn. Beides stilisierte Porträts asozialer Männer mit Aggressionsneigung und Helfersyndrom. Doch Ramsay ist näher dran an ihrer Hauptfigur, bohrt sich emphatisch und empathisch in ihr Hirngefängnis, um zu verstehen. Kann es Erlösung geben für einen derart verkorksten Menschen? Eine kompromittierte Rettungsaktion deutet eher Richtung Untergang. Aber aus der Katastrophe erwächst eine Chance, in Gestalt eines Mädchens (Ekaterina Samsonov), das Joes Versehrtheit ebenso teilt wie seinen Überlebenswillen.

Bemerkenswert, wie der psychologische Realismus des Films mithilfe sinnlicher Details konturiert wird, über pfeifende Teekannen und flirrendes Licht. Ein impressionistischer Seelenstrudel (Soundtrack: Jonny Greenwood), in dessen Orbit auch Popsongs geraten, je nach Stimmungslage anders konnotiert: Während ein lieblicher alter Schlager zum Signum des Schreckens gerät, schwingt in einem anderen die Ahnung einer Unschuldsutopie mit, als ihn Joe in einem berückend surrealen Moment, zusammen mit einem sterbenden Gegner auf dem Küchenboden liegend, sanft vor sich hin säuselt. Man muss sich seinen Frieden suchen, wie und wo man kann, scheint der Film zu sagen – denn meist ist er nur von kurzer Dauer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2018)

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