Neu im Kino: Die Frau, die vorgab, Jüdin zu sein

Auf Wahrheitssuche im Archiv, im österreichischen Boden, im eigenen Leben: Yoel Halberstam.
Auf Wahrheitssuche im Archiv, im österreichischen Boden, im eigenen Leben: Yoel Halberstam.(C) Stadtkino
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Ein Holocaustforscher entdeckt, dass seine Mutter ihre Identität vorgetäuscht hat: „Das Testament“ verknüpft eine irrwitzige Story mit dem Massaker von Rechnitz.

Als Jude gilt, wer von einer jüdischen Frau geboren ist. Was aber passiert, wenn ein israelischer Holocaust-Historiker entdeckt, dass seine Mutter ihre jüdische Herkunft nur erfunden hat? Noch dazu bei seinen Nachforschungen zu einem Massaker an Juden in Österreich, wo er der „absoluten Wahrheit“, den „Fakten“ zum Sieg verhelfen will?

Yoel Halberstam („nomen est omen“) heißt dieser Mann mittleren Alters im erstaunlichen Film „Das Testament“ des israelischen Filmemachers Amichai Greenberg. Mit langem Bart und Kippa kämpft er vor Gericht darum, im österreichischen Lendsdorf weiter graben zu dürfen, um ein Massaker an Juden am Ende des Zweiten Weltkriegs zu beweisen (das reale Massaker von Rechnitz diente hier als Vorlage). Die Stadtverwaltung will das Areal zubauen. Als „beobachtender Jude“, sagt Halberstam, sei er „der absoluten Wahrheit“ verpflichtet, der Wahrheit der Fakten: „Wenn es meine Wahrheit ist, ist es nicht die Wahrheit.“ Seine Geschichte als Kind von Holocaust-Überlebenden habe also damit nichts zu tun. Doch dann stößt er auf ein Faktum, das alles infrage stellt: Seine Mutter, die wichtigste Zeugin des Massakers, war keine Jüdin. Als Dienstmädchen einer jüdischen Familie hatte sie sich als Jüdin ausgegeben – aus Zuneigung und Wunsch nach Zugehörigkeit.

„Du wirst sie nicht zu Gojim machen!“

„Das Testament“ ist die Geschichte einer Identitätskrise und stellt dabei unbequeme Fragen – nach Sinn und Wesen der wieder so viel beschworenen (nationalen) Identität überhaupt wie nach dem Sinn kompromissloser Wahrheitssuche, für die Halberstam steht. In Österreich kollidiert er mit jenen, die die Vergangenheit ruhen lassen wollen, mit Zeitzeugen, die nicht aussagen wollen – in Israel mit seiner Schwester, die die wahre Herkunft ihrer Mutter verheimlichen will: „Ich habe 32 Enkelkinder“, sagt sie wutentbrannt, „du wirst sie nicht zu Gojim machen.“ Sie droht ihm, seine Familie werde er verlieren – „Was bist du ohne uns?! Nichts!“ Auch seinen Sohn werde er nie wiedersehen, wenn dessen Mutter – von der er getrennt lebt – davon erfahre.

Ist Halberstams Wahrheitswille anmaßend? „Du glaubst, Gott hat dich geschickt“, bekommt er zu hören, die Schwester spricht von „Blasphemie“. Der Rabbi wittert überhaupt Teuflisches – diese Wahrheitssuche sei ein böser Drang des eigenen „Egos“.

Stilistisch ist die israelisch-österreichische, 2017 in Venedig präsentierte Koproduktion simpel gestrickt; der Israeli Amichai Greenberg hat sich mit TV-Dokumentationen und -Dramen einen Namen gemacht. Und dennoch ist „Das Testament“ ein besonderer Film – durch seine außergewöhnliche Geschichte und das Nachdenken, in das es den Zuseher zwingt. Am Ende sitzt Halberstam ohne Kippa und Bart im österreichischen Gerichtssaal und hilft dort auch als Forscher der Wahrheit zum Sieg; in letzter Minute liefert er den Beweis für das Massaker. Als moralischer Appell und optimistisches Bekenntnis ist das lobenswert – als künstlerische Fiktion zu plakativ für einen ansonsten so gar nicht plakativen Film.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2018)

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