War früher wirklich alles besser? Ein Film über die Nostalgie

 Tony Webster (Jim Broadbent) mag anderen gegenüber ruppig auftreten, seine Tochter (Michelle Dockery) unterstützt er aufopferungsvoll.
Tony Webster (Jim Broadbent) mag anderen gegenüber ruppig auftreten, seine Tochter (Michelle Dockery) unterstützt er aufopferungsvoll.(c) Wild Bunch Germany
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Ritesh Batras hat den Roman „Vom Ende einer Geschichte“ von Julian Barnes verfilmt. Eine vertane Chance.

Ein alter Mann schwelgt in Erinnerungen an jene Zeit, als er sich erstmals restlos verliebt hat. Immer, wenn ihm die Routine der täglichen Besorgungen zu trist wird, wenn er die Geschwätzigkeit der Kunden in seinem Laden nicht aushält, flieht er in seine Tagträume. Überhaupt reagiert er meistens gereizt auf fremde Menschen. Ein verbitterter Grantler durch und durch ist Tony Webster (bravourös gespielt von Jim Broadbent) allerdings nicht. Dafür strahlt er zu viel britische Noblesse aus. Er ist eher ein vergrübelter Gentleman – immer ein bisschen außerhalb seiner selbst stehend, aber trotzdem ein guter Vater, der seine Tochter aufopferungsvoll unterstützt und sogar seiner Ex-Frau ein treuer Freund geblieben ist.

Doch seine Früher-war-alles-besser-Mentalität gerät ins Schwanken. Er beginnt sich zu fragen, woher die Risse in seinen inneren Rückblenden kommen. Wieso sie an bestimmten Stellen immer wieder abreißen. War die Affäre, die nie verblassen wollte, nicht krachend gescheitert? Hatte sich der beste Freund nicht das Leben genommen? Als er vom Tagebuch erfährt, das sein Freund damals hinterlassen hatte, hofft er auf Aufklärung. Allerdings liegen die Sachen komplizierter, als er dachte: Denn die Frau, die dieses Buch aufbewahrt hat, ist jene einstige Geliebte, von der er nie aufhören konnte zu träumen – und sie will die Aufzeichnungen ihres Gatten, für den sie Tony damals verließ, nicht herausrücken. Nachdem seine Bemühungen scheitern, die Sache auf legalem Wege zu klären, beißt er die Zähne zusammen und trifft sich mit der von Charlotte Rampling dargestellten Verflossenen. Nachtragend, unterkühlt, undurchsichtig wirkt sie in der Rolle. Wie ein Gespenst, das Tony endlich auch in Fleisch und Blut heimsucht. Und das ihn zum Stalker werden lässt.

Kitsch in den Flashbacks

Dass die Inszenierung etwas Romantisches in sein Verhalten hinein imaginiert, statt dessen gewaltsame, krankhafte Züge zu betonen, gehört zu den unangenehmen Sonderbarkeiten des Films. Irgendwie wird einem mulmig, wenn man Tony dabei zuschaut, wie er seiner alten Flamme nachstellt – und so getan wird, als wäre er nur ein etwas schrulliger Alter. Hinzu kommt der Kitsch in den Flashbacks, ihre etwas zu betuliche, biedere Aufmachung. An die Pointe aus der Roman-Vorlage von Julian Barnes, dass man jeglicher Nostalgie mit Vorsicht begegnen und ehrlich zu sich selbst sein sollte, dürften die Filmemacher nicht geglaubt haben. Eine vertane Chance.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2018)

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