Der Physiker, der es mit Superhelden aufnimmt

Luiza Puiu
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James Kakalios erklärte – in seinen Büchern wie auch bereits in Alpbach – Newtons Gesetze anhand von Superman und Quantenmechanik anhand von Science-Fiction-Geschichten. Jetzt widmet er sich der Physik der Alltagslebens.

Die Presse: Wenn Sie sich in der Welt umschauen, haben Sie immer die Physik im Kopf? Oder können Sie das abstellen?

James Kakalios: Wenn ich mir einen Superheldenfilm anschaue, dann tue ich das nicht mit Notizblick und Taschenrechner. Aber es gibt Situationen, in denen es meine Erlebnisse verstärkt. Jeden Herbst fahren meine Frau und ich in eine Waldgegend. Hektar über Hektar voller Bäume in wunderschönen Farben! Dabei denke ich an all die Atome in den Blättern. Und dabei ist das nur ein kleiner Teil von Minnesota, und der ist Teil der Erde, und die ist nur ein Planet, und die Galaxie nur eine von hundert Millionen Galaxien – und das alles ist beim Urknall entstanden. Man kann die Schönheit bewundern und zugleich die Unendlichkeit untermauern. Aber wenn ich mir einen „Avengers“-Film ansehe, drehe ich das alles ab.


Sind die „Avengers“-Filme denn so weit von der physikalischen Realität entfernt?

Ich habe tatsächlich bei einer Science-Fiction-Convention einen Vortrag über die Physik der „Infinity Stones“ gehalten. Diese sammelt im jüngsten „Avengers“-Film der Bösewicht, um Kontrolle über Raum, Zeit, etc. zu erlangen. Ich habe das als Ausrede verwendet, um über eine der brillantesten Mathematikerinnen des 20. Jahrhunderts zu sprechen: Emmy Noether, eine Deutsche, die 1915 Mathematik-Professorin wurde. Zwei berühmte Professoren, Felix Klein und David Hilbert, baten sie, ihnen zu helfen: Sie dachten, sie hätten in Einsteins Relativitätstheorie einen Fehler gefunden – dass Energie nicht konserviert wird. Noether hat nicht nur herausgefunden, dass es keinen Fehler gibt, sie hat auch in einem der schönsten Theoreme der Physik bewiesen, wie Energie konserviert wird. Diese Frau bringt Diversität und Resilienz auf den Punkt. Sie arbeitete als Frau in einem von Männern dominierten Feld. Aber erst wenige Jahre, bevor sie das Land verlassen musste, weil sie Jüdin war, bekam sie eine bezahlte Stelle.


Viele Schüler fürchten den Physikunterricht. Können Sie verstehen, warum?

Manchmal wird Physik auf sehr trockene Art präsentiert. Die Welt ist ein komplizierter Ort. Wenn ich einen Stein fallen lasse und frage, wie lange er fällt, muss ich erst einwenden: Ignorieren wir, dass es Luft gibt. Und ignorieren wir auch, ob wir auf einem Berggipfel oder unten sind. So geht es weiter, und bevor wir zur eigentlichen Frage kommen, denken die Leute: Das hat nichts mit dem echten Leben zu tun. Interessanterweise fragen sich die Studenten, wenn ich Superhelden zur Illustrierung hernehme, nie, wann sie das im echten Leben brauchen könnten. Anscheinend haben sie nach ihrem Abschluss alle Pläne, die Spandex-Anzüge involvieren.


Seit Ihrem ersten Buch werden Sie von Comic-Verlagen und Filmproduzenten angerufen, die wissen wollen, ob ihre Ideen physikalisch haltbar sind.

Immer wieder, ja. Denn: Immer, wenn Sie im Kino sitzen und sich denken: „Moment, das kann nicht sein“, schenken Sie der Geschichte keine Aufmerksamkeit mehr. Es muss eine glaubhafte Fake-Wirklichkeit sein. Man nennt diesen Anspruch „refrigerator logic“: Wenn Sie einen Film anschauen und sich erst zuhause, wenn Sie den Kühlschrank aufmachen und nach einem Drink greifen, zu fragen beginnen: Moment mal . . . Dann ist das in Ordnung!


Gibt es etwas, das Sie den Produzenten demnach ausreden mussten?

Meistens hören sie nicht auf mich! Ich war Berater für die Verfilmung von „Watchmen“, einer Graphic Novel aus den 1980ern, die als Meisterwerk gilt. Die Produzenten wollten so nah an der Vorlage bleiben wie möglich. Wenn ich Änderungsvorschläge machte, sagten sie: „Wir können eine Million rabiate ,Watchmen‘-Fans verstimmen – oder einen Physikprofessor aus Minnesota.“ Ich verstehe, wie sie sich entschieden haben.


Welche Superkraft hätten Sie gerne?

Wenn ich im Stau stecke, wenn mein Flug gecancelt wurde, wenn ich hundert Sachen machen muss und nur Zeit für zwei habe, wünschte ich, dass ich mich mit Supergeschwindigkeit bewegen könnte. Aber um genug Energie dafür zu haben, müsste ich 200 Millionen Cheeseburger essen, das will ich nicht. Bei Supergeschwindigkeit zu kauen, stelle ich mir sehr eklig vor.


Es scheint gerade eine gute Zeit für Nerds zu sein. Helden der Popkultur – von Sherlock bis zur „Big Bang Theory“ – sind Nerds, Videospiele und Science Fiction sind Mainstream-Interessen.

Es ist ein goldenes Zeitalter für Nerds! Selbst in den Superheldenfilmen passiert es in der letzten Kampfrunde meist, dass der Held den Bösewicht durch Denken überlistet.


Wird dadurch auch die Wissenschaft für junge Leute interessanter?

Zu einem gewissen Grad, ja. Im Grunde ist es wie Computerspielen – nur dass man gegen den allerhärtesten Gegner spielt: die Natur. Sie macht per definitionem alles richtig.

Veranstaltung

Am Samstag erklärt James Kakalios, Physikprofessor an der Universität von Minnesota, in einem humoristischen Vortrag „Die Physik der alltäglichen Dinge“ (12.30 Uhr, Elisabeth-Herz-Kremenak-Saal). So heißt auch sein jüngstes Buch, nach „The Amazing Story Of Quantum Mechanics“ und „Die Physik der Superhelden“ (beide präsentierte er bereits in Alpbach). Auch Beispiele mit Österreichbezug – von Halbleiter-Technologien bis zu Hedy Lamarr – wird er in seinen Vortrag einbauen.

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