Mehr als nur ein Dreigroschenfilm

Auch Gangster brauchen Romantik: Tobias Moretti als Mackie Messer und Hannah Herzsprung als seine Herzensdame Polly.
Auch Gangster brauchen Romantik: Tobias Moretti als Mackie Messer und Hannah Herzsprung als seine Herzensdame Polly.(C) © Wild Bunch Germany / Stephan Pick / Constantin Film
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Joachim A. Lang hat den Musiktheater-Welterfolg von Brecht und Weill mit einer bunten Truppe an Stars raffiniert und vielschichtig auf der Leinwand umgesetzt. Ab heute.

Die „Dreigroschenoper“, vor 90 Jahren im Berliner Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführt, ist ein dauerhafter Welterfolg des Dramatikers Bertolt Brecht und des Komponisten Kurt Weill. Wer diese Musik im Ohr hat und auch den Text, wird nie mehr die subversive Assoziation aus dem Kopf bekommen, wie wesensverwandt Gangstertum und Bankgeschäft sind. Dieses Gesamtkunstwerk traf zwischen zwei barbarischen Kriegen den Nerv der Zeit. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, wissen in diesem Stück nicht nur die Erniedrigten und Beleidigten, sondern auch der Polizeichef und selbst der König.

Umso erstaunlicher ist, dass damals zu diesem Hit ein lukratives Filmprojekt gewissermaßen scheiterte. Es wurde nicht im Sinn Brechts und Weills realisiert. Sie wollten auch Sozialkritik, die Geldgeber hingegen bloß seichte Unterhaltung. Also kam es zum Prozess – und zum Vergleich. Zwei Jahre später verbot das NS-Regime diesen vom Autor bekämpften „Dreigroschenfilm“.

HK Gruber sorgt für den Weill-Sound

Regisseur Joachim A. Lang hat sich nun ein Herz gefasst und frech den Stoff in die Postmoderne entführt, so wie sich Gangsterboss Mackie Messer die Tochter des Bettlerkönigs Peachum, Polly, zur Frau nahm. Produzenten haben Geld in die Hand genommen. Schauspieler der deutschen Superliga waren ehrlich bemüht, nicht nur Publikumslieblinge zu sein, sondern auch dem toten Dichter zu gefallen. Entstanden ist ein hervorragender Spielfilm, bei dem die Zuseher zu geringem Preis nicht nur eine Oper, sondern auch die Entstehung der Oper, nicht nur den Kampf um das alte Kinoprojekt, sondern auch das Gelingen des neuen erleben. Als Draufgabe kriegen sie das komplexe Beziehungsgeflecht um Brecht, Kompositionen von Walter Mair und Kurt Schwertsik, die mit denen von Weill spielen, alles unter der musikalischen Leitung HK Grubers. Er gibt den Takt vor, sorgt für nervöses Tempo. Sie kriegen allerneueste Eindrücke vom Sieg des Kapitalismus über die Politik. Da wird man aus der Londoner Unterwelt oder aus Palästen in ganz moderne Verliese entführt, die mit Lichtschranken gesichert sind. Ein Knopfdruck, die Laserstrahlen verschwinden, der befreite Gangster verkündet das Evangelium entfesselter Märkte. Gerettet!

Brecht flirtet mit dem Publikum

Wenn das kein Angebot ist! „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ ist rasant choreografiert, so beschwingt wie schräg gesungen und so lustvoll wie gerissen gespielt, dass selbst größte Ungerechtigkeiten nicht mehr wehtun. Sogar reichlich Kitsch wird in historisierender Kulisse geboten. Viele Szenen wirken derart künstlich und schamlos sozialromantisch, dass auf angenehme Weise ein Verfremdungseffekt einsetzt.

„Die Dreigroschenoper ist ein Versuch, der völligen Verblödung der Oper entgegenzuwirken“, wird Brecht im Film nach der Uraufführung des Werks sagen. Der Versuch gelingt auch Lang, er unterhält und belehrt zugleich. In Lars Eidinger hat er eine ideale Besetzung für die Dichterrolle gefunden – als allwissendes Brecht-Zitat mit runder Brille, Lederjacke und Zigarre ist er gewitzt, fokussiert und, wenn es sein muss, knallhart. Dieser Typ liebäugelt auch mit dem Publikum und zieht es ins Vertrauen, als ob es zu seinem Kollektiv gehörte, das im Wesentlichen aus ihn verehrenden, starken Frauen bestand. Meike Droste spielt Helene Weigel, Peri Baumeister Elisabeth Hauptmann. Einige Darstellerinnen haben hier Doppelrollen: Herrlich Hannah Herzsprung als Carola Neher, die in der Oper die Polly spielt, oder Britta Hammelstein als Lotte Lenya bzw. Jenny. Kurt Weill an ihrer Seite gibt Robert Stadlober ausgleichend verschmitzt.

Mackie wird eine Leibrolle für Moretti

Den Protagonisten der Oper, Macheath, verkörpert Tobias Moretti. Er hat sich in diesem Part bereits 2016 am Theater an der Wien in einer matteren Version musikalisch tapfer gegen Opernsänger behauptet. Nun brilliert er mit tollen Theaterleuten. Mackie Messer ist eine Leibrolle für ihn. Wenn er mit Christian Redl als Polizeichef Tiger Brown zackig marschiert, versteht man, warum dieser Kanonensong 1928 das Publikum derart mitgerissen hat. Auch Joachim Król und Claudia Michelsen als Mackies Kontrahenten (das Ehepaar Peachum) sind richtig schmierige und energische Repräsentanten der Halbwelt von Soho. Schließlich singt noch Max Raabe Moritaten. Jetzt ist es gewiss: Hier wird echt geklotzt. Oper, Operette, Musical, Revue, Kabarett, episches Theater etc. sind aufs Künstlichste vereint. Wer wird denn bei einem solchen Triumph der wilden Anarchie an den nächsten Crash denken?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2018)

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