Chilly Gonzales im Kino: Ein Künstler kämpft

Er bettelt nicht nur um die Liebe des Publikums, auch um ein wenig Hass: Exzentriker Chilly Gonzales.
Er bettelt nicht nur um die Liebe des Publikums, auch um ein wenig Hass: Exzentriker Chilly Gonzales.(c) Stadtkino
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„Shut Up And Play The Piano“ porträtiert liebevoll den exzentrischen kanadischen Musiker Chilly Gonzales.

Wer ihn lieben wolle, möge ihn auch ein wenig hassen – fleht der in einem rosa Anzug steckende Pianist und Rapper Chilly Gonzales in der Eröffnungssequenz. Dann wendet er sich an den Zuseher und singt „I hate the crowd“. In diesem Falle bleibt es allerdings nicht bei der bekannt ambivalenten Beziehung zwischen Künstler und Rezipient. Bereits in den ersten Minuten dieser von Philipp Jedicke in dreieinhalb Jahren realisierten Dokumentation über den kanadischen Musiker Chilly Gonzales tauchen andere Reibebäume auf. Der übermächtige Vater, ein Mann, der es vom armen rumänischen Emigranten zum mächtigen Bauunternehmer in Kanada geschafft hat. Dann der Bruder, der Gonzales (der eigentlich Jason Beck heißt) zur Musik gebracht hat und als Filmkomponist in Hollywood pekuniär gesehen viel mehr geschafft hat als Gonzales.

Die vom Gefühl der Konkurrenz dominierte Beziehung der Brüder hat Chilly Gonzales früh beflügelt. „I wanted to be deeper than him. He liked Sting“ erklärt er. Weiters tauchen im Laufe der 80 Minuten allerlei Musiker auf. Manche haben eine freundschaftliche, andere eine ambivalente Beziehung zum Exzentriker aus Kanada, der von Europa aus Weltkarriere machte.

Ein zentrales Element dieser aus Rückblenden, geschauspielerten Szenen, Archivmaterial und Konzertausschnitten bestehenden Dokumentation ist ein langes Interview, das die deutsche Schriftstellerin Sibylle Berg mit Gonzales geführt hat. Unbequemes wie „Sie sind jetzt 40 Jahre alt, das ist doch die ideale Zeit, sich Gedanken über den Tod zu machen ...“ pariert Gonzales einigermaßen gut. Am intensivsten kämpft er letztlich gegen sich selbst. Hinter der großmauligen Attitüde eines Genies oder Präsidenten des Berliner Underground versteckt sich letztlich ein an sich zweifelnder Exilant.

Gonzales begann seine Karriere in der berühmten Wohngemeinschaft, der auch Rapperin Peaches, Folkdiseuse Feist und Multiinstrumentalist Mocky angehörten. Zu seinen Qualitäten zählt, dass er sich im Laufe seiner Karriere unerbittlich mit seinen Schwächen konfrontiert hat. Unnötig wirkt da ein Statement von Cornelius Meister, der 2011 einen Abend mit Gonzales im Wiener Radiokulturhaus dirigiert hat, von dem viele Ausschnitte in „Shut Up And Play The Piano“ zu sehen sind. Gonzales steche handwerklich nicht heraus, behauptet er und bezweifelt, dass er in einer hiesigen Musikhochschule die Aufnahmeprüfung bestehen würde. Der Nachsatz, jene, die ein Rachmaninow-Konzert stemmen, könnten nicht spielen, was Gonzales performt, wirkt halbherzig.

Von Europa aus in die Klavierkarriere

Tatsächlich wurde aus dem Rapper nach dem Umzug nach Europa ein wundervoller Pianist. 2004 ging er in Paris in die Studios Ferber und nahm dort eigene Klavierstücke auf. Produzent Renaud Letang wusste sofort um das Besondere daran. Das Album „Solo Piano“ wurde ein Welterfolg. Eben ist Teil drei herausgekommen. Reuelos und voller Esprit mischt Gonzales einmal mehr kammermusikalische Klassik, Jazz, freie Improvisation. Konfrontiert mit seinen alten Berliner Videos, murmelt er: „zu viel Konzept, zu viel Intensität, zu viel Sex. Ich bin froh, dass diese Phase nicht zu lang gedauert hat.“

Rührend das Ende. Chilly Gonzales will seinen Nom de Guerre (von der Cartoonfigur Speedy Gonzales) weitergeben. Dann findet er noch einen Brief, den er als Kind schrieb, um sich von seinem Bruder zu distanzieren. „Ich kam drauf, dass ich alles erreicht habe, was ich mir damals fantasierte.“ Wenn das kein Happy End ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2018)

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