Diesem Nussknacker fehlt die Seele

Insulin wird zur Kinokarte leider nicht gereicht: Disneys „Nussknacker“- Adaption ist ein allzu süßliches Kostümfest. Die opulenten Roben von Heldin Clara (Mackenzie Foy) und der Zuckerfee (Keira Knightley) können über die Schwächen des Films nicht hinwegtäuschen.
Insulin wird zur Kinokarte leider nicht gereicht: Disneys „Nussknacker“- Adaption ist ein allzu süßliches Kostümfest. Die opulenten Roben von Heldin Clara (Mackenzie Foy) und der Zuckerfee (Keira Knightley) können über die Schwächen des Films nicht hinwegtäuschen.Laurie Sparham/Disney
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Disney erzählt in seinem opulenten Weihnachtsfilm E. T. A. Hoffmanns Märchen und Tschaikowskis Ballett weiter. Mit viel Spielzeug und Zuckerwatte – und wenig dahinter.

Sollte Disneys neues Weihnachtsmärchen beim jungen Publikum nur annähernd so einschlagen wie einst „Die Eiskönigin“, dann hat der Handel schon einmal vorgesorgt: Online gibt es bereits die Ballkleider der Protagonistinnen als Mädchenkostüme zu kaufen, dazu Krönchen, Ballettröckchen, Nussknacker-Handyhüllen und Zuckerfee-Barbies. „Der Nussknacker und die vier Reiche“, eine Art Fortsetzung des Märchens von E. T. A. Hoffmann und dem darauf basierenden Ballett von Tschaikowski, ist in erster Linie eine opulente Kostüm- und Ausstattungsorgie – und bietet damit eine ideale Grundlage für weihnachtliche Spielsachen, die Großeltern ihren Enkeln kaufen können, in der Hoffnung, diese damit nicht nur für einen Disneyfilm, sondern auch für Romantikliteratur und klassische Adventsaufführungen begeistern zu können.

Das Ballett ist im Film tatsächlich nicht viel mehr als hübsches Beiwerk: Misty Copeland, Primaballerina des American Ballet Theatre, und Sergei Polunin, ukrainisches Enfant Terrible der Ballettwelt, tanzen an einer kurzen Stelle zur Filmmusik, die James Howard basierend auf Tschaikowskis Themen komponiert und die Dirigent Gustavo Dudamel (dessen Silhouette man in einer Art Schattentheater-Sequenz erahnen kann) mit dem London Philharmonic Orchestra eingespielt hat. Der Film nimmt einige Elemente der Märchenvorlage auf, türmt eine dicke Zuckerschicht darauf – mischt aber auch düstere Zutaten ein. Im Vordergrund steht hier weniger die kindliche Fantasie oder die wundersame Verbindung zwischen Traum und Realität – tatsächlich werden das Zauberland und die belebten Spielsachen als Geniestreiche auf pseudowissenschaftlicher Basis dargestellt –, sondern die Frage, wie man mit Trauer und Verlust umgeht.

Hier regiert die Zuckerfee

Bei Hoffmann wurde die kleine Marie Stahlbaum am Weihnachtsabend in einen Kampf zwischen Nussknacker und Mäusekönig gezogen und letztlich Königin im Puppenreich. Dieses gibt es bei Disney immer noch, doch Marie ist tot, ihre Tochter Clara (Mackenzie Foy) hat ihren Erfindergeist geerbt – und ein Fabergé-artiges Ei, das aber verschlossen ist. Die Suche nach dem Schlüssel führt sie vom viktorianischen London in die Welt, die ihre Mutter verlassen hat.

Hier regiert mittlerweile ein exaltiertes Dreiergespann unter Führung der Zuckerfee (genüsslich manieriert mit Piepsstimme: Keira Knightley), die sich, wenn sie nervös wird, die Zuckerwatte vom Kopf in den Mund steckt. Die vierte Regentin, „Mother Ginger“ (Helen Mirren als Hexenfigur mit rissigem Gesicht) haben sie ins Exil verbannt. Jetzt droht Krieg. Und Clara muss, um das Erbe ihrer Mutter anzunehmen, nicht nur den ersehnten Schlüssel finden, sondern auch gleich – natürlich! – ein ganzes Reich vor dem Untergang retten.

Es gibt Intrigen, Wendungen, doch die Handlung ist unrund, die Dialoge sind platt, die Figuren ebenso. Umso üppiger geraten die Bilder des Films: Ohne Scheu vor Kitsch haben die Regisseure Lasse Hallström („Chocolat“) und Joe Johnston („Jumanji“ und viele andere effektlastige Filme) allerlei Stile zusammengeworfen. Neben einem monumentalen Zwiebelturmpalast nach russischem Vorbild drängen sich Lebkuchenhäuschen und Lollipopbäumchen, Eiszapfen hängen von Steinbauten, auf sattgrünen Wiesen drehen sich blumengespickte Windmühlen, dahinter knarren im dichten Nebel die Geräte eines verlassenen Vergnügungsparks – und durch die ganze Szenerie purzelt ein buntes Figurenarsenal.

Hier tobten sich die Macher richtig aus – wie lustig muss es auch sein, eine Spielzeugschlacht zu inszenieren! Hoffmanns siebenköpfiger Mäusekönig wurde zu einem wabernden Digitalmonster aus Tausenden Mäusekörpern, gruselige Clowns klappen sich wie Matroschka-Puppen auf, Zinnsoldaten versinken im Erdboden. Bezaubern kann das computergenerierte Gewurl aber nicht. Und der Nussknacker selbst? Der ist eine adrette, aber seelenlose Nebenfigur. Dann die Enkel doch lieber ins Ballett schicken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2018)

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