HANEKE UND CO.: Heimat großer, schräger Filme

Hanekes Schwarz-Weiß-Film „Das weiße Band“ war auch global erfolgreich.
Hanekes Schwarz-Weiß-Film „Das weiße Band“ war auch global erfolgreich. (c) Wega Film
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Streamingtipps. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen auch außerhalb Österreichs eine klare Vorstellung davon haben, was „österreichisches Kino“ bedeutet. Die Filmemacher, die dieses Bild mitbestimmt haben.

Österreich, schrieb die „New York Times“ 2006, sei das Weltzentrum des „feel-bad cinema“ – ein Label, das dem heimischen Kino nach wie vor anhaftet. Die Auslotung menschlicher Abgründe und der gnadenlose Blick auf soziale Missstände: fürs Publikum internationaler Festivals ebenso „typisch österreichisch“ wie tiefschwarzer Humor. Dies nährt das Fremdbild eines Landes voller Flagellanten. Grund zur Klage bietet es freilich nur so lang, bis man es mit Preisen vergütet – und das geschah in den vergangenen 20 Jahren nicht zu knapp. Die Arbeiten von Haneke, Seidl und Co. machten den „österreichischen Film“ zu einer Arthouse-Marke mit erstaunlicher Zugkraft. Und die Selbsteinschätzung? Sieht nicht viel anders aus. Die Zeiten von Franz Antel, Sissi und Hans Moser liegen weit zurück. Österreichische Filme sind „schräg“, meinen hiesige Gegenwartszuschauer. Eigentlich kein schlechtes Attribut, schließlich kann es sehr viel bedeuten: ungewöhnlich, mysteriös, faszinierend, abseitig im besten Sinne. Und manchmal sogar Oscar-würdig. Jedenfalls lässt es Raum für Fantasien abseits der „Feel-bad“-Schublade. Und das ist gut so – denn selbige mag noch so beliebt sein, ewig halten wird sie nicht.

Michael Haneke Tiefkühlgefühl.

Kein Regisseur hat die Innen- und Außenwahrnehmung des österreichischen Kinos so nachhaltig geprägt wie Michael Haneke. Seine „Trilogie der emotionalen Vergletscherung“ setzte neue ästhetische Maßstäbe, an denen sich viele bis heute ausrichten. Doch das formale Spektrum des kompromisslosen Moralisten ist breiter, als man meinen könnte. Es reicht von der eiskalten Zärtlichkeit seines Auslandsoscargewinners, „Liebe“ (auf Amazon), über eine Schwarz-Weiß-Studie keimender NS-Mentalität („Das weiße Band“, Amazon) bis hin zum fragmentierten Gesellschaftsquerschnitt „Code: unbekannt“ (Flimmit). In Österreich spielt übrigens keiner dieser Filme – eine bezeichnende Ironie.

Ulrich Seidl Menschenmenagerie.

Seidl oder Haneke? Das ist die ewige „Stones oder Beatles?“-Frage heimischer Cinephilie. Wo Schauspielersohn Haneke eher an Traditionen bürgerlicher Trauerspiele anschließt, stellt der aus einer Ärztefamilie stammende Seidl den vergleichsweise ungestümen Volksstückgegenpol. Er porträtiert Menschen, die vom Kino meist ignoriert oder bevormundet werden, wertfrei in all ihrer Schönheit und Hässlichkeit – und verwischt dabei die Grenzen zwischen Dokument und Fiktion. Die Anfeindungen, die ihm dafür am Anfang seiner Karriere entgegengeschlagen sind, als er mit Arbeiten wie „Tierische Liebe“ (Flimmit) Aufsehen erregt hat, sind längst der Anerkennung gewichen – wie der Erfolg seiner „Paradies“-Trilogie (Netflix) belegt.

Ruth Beckermann Gedankenwanderung.

Seit der Premiere ihres persönlich-politischen Essayfilms „Waldheims Walzer“ wird dem Werk der Wiener Weltbürgerin Ruth Beckermann wieder größere Aufmerksamkeit zuteil. Im Grunde zeichnete sich diese Entwicklung schon bei „Die Geträumten“ ab, Beckermanns eigenwilliger Adaption des Briefwechsels zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Am Puls der Zeit und formal gewagt war ihr Schaffen schon, seit sie in den Siebzigern mit Gleichgesinnten die Besetzung der Arena in Laufbilder bannte. Beckermanns poetische Dokumentarfilme handeln von Verdrängung und Aufarbeitung, von jüdischen Identitäten und Lebenswelten, von Heimat und von Wanderlust. Auf Flimmit stehen fast alle von ihnen zur Streamingverfügung.

Josef Hader Qualitätskabarett

Im nicht deutschsprachigen Ausland nahezu unbekannt, hierzulande Kinogalionsfigur und Publikumsgarant: Josef Hader hat den Wechsel vom Qualitätskabarettisten zum Leinwandstar und nunmehrigen Regisseur („Wilde Maus“, Sky) scheinbar ganz mühelos hinbekommen. Seine Darstellung des sympathisch-kaputten Detektivs Simon Brenner in den Wolf-Haas-Verfilmungen Wolfgang Murnbergers (darunter „Der Knochenmann“ und „Das ewige Leben“, Netflix) ist aus heimischer Popkultur nicht wegzudenken.

Barbara Albert Arthaus-Aufbruch

Nachdem es eine Zeit lang ruhig um Barbara Albert geworden war, gelang ihr mit dem Historienfilm „Licht“ ein Comeback, das an ihre nicht unwesentliche Rolle für den Aufschwung des „neuen österreichischen Films“ erinnerte. Mit dem Ensemblemelodrama „Nordrand“ (Flimmit) verhalf sie 1999 Nina Proll und Georg Friedrich zum Durchbruch und schenkte dem heimischen Arthaus-Kino Selbstbewusstsein, dessen Früchte bis heute geerntet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2018)

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