Ohne Männer geht es besser

Veronica (Mi., Viola Davis) rekrutiert die Frauen der toten Mitstreiter ihres Lebensgefährten für einen Beutezug, in der Saune sitzt sie hier mit Linda (Michelle Rodriguez) und Alice (Elizabeth Debicki, v. l.).
Veronica (Mi., Viola Davis) rekrutiert die Frauen der toten Mitstreiter ihres Lebensgefährten für einen Beutezug, in der Saune sitzt sie hier mit Linda (Michelle Rodriguez) und Alice (Elizabeth Debicki, v. l.).(c) 20th Century Fox
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Regisseur Steve McQueen versucht sich in „Widows“ am „Heist Movie“-Genre – und schickt vier starke Frauen auf Beutezug. Allemal besser als die Peinlichkeit „Ocean's 8“.

Wenn Filmfiguren auf Beutezug gehen, haben sie meist mehr im Sinn als persönliche Bereicherung. Vielleicht sind es abgehärmte Profis, die sich nach einem letzten Job zur Ruhe setzen wollen, wie in Michael Manns „Thief“. Oder Draufgänger, die den sportlichen Aspekt diebischer Unternehmungen zu schätzen wissen, wie in den „Ocean's“-Filmen. Manchmal geht es um verzehrende Leidenschaften, wie beim Taschlzieher aus Robert Bressons „Pickpocket“. Und wo sich Leinwand-Räuber als Robin Hood gerieren, bedient ihr Tun und Treiben in der Regel triviale Allmachtsfantasien. Weit seltener dient sich das „Heist Movie“-Genre – das sich traditionsgemäß ums Drehen dicker Dinger dreht – für politische Zugänge an.

Einen ebensolchen wählt der britische Regisseur Steve McQueen für seinen neuen Film „Widows“. Dessen TV-Vorlage aus den 1980er-Jahren handelt von vier Frauen, die einen spektakulären Einbruch planen – und ist heute nahezu unbekannt. McQueen, der sich mit bildstarkem Kunstkino („Hunger“, „Shame“) und dem oscarprämierten Sklaverei-Epos „12 Years a Slave“ einen Namen gemacht hat, verpflanzt das Geschehen aus England in die USA – und nutzt es als Gerüst für ein düsteres, ausladendes Drama mit Hang zur soziologischen Zeitdiagnostik.

Schauplatz ist Chicago, eine der titelgebenden „Witwen“ bildet den dramaturgischen Ankerpunkt. Veronica (stark: Viola Davis) hat kürzlich ihren Mann (Liam Neeson) verloren – in der eröffnenden Parallelmontage des Films sieht man, wie er zusammen mit drei Kollegen einem verbockten Raubzug zum Opfer fällt. Zu seinen Hinterlassenschaften zählt ein ansehnliches Penthouse – aber auch ein Schuldenberg beim örtlichen Gangsterboss Jamal (Brian Tyree Henry). Dieser lässt keine Nachsicht walten, Veronica braucht jetzt dringend Geld. Also rekrutiert sie die Frauen der toten Mitstreiter ihres Lebensgefährten – und tritt in dessen Fußstapfen.

Doch die Vorbereitung und Ausführung des räuberischen Abenteuers – für gewöhnlich das Gustostück eines jeden Heist-Films – spielt bei McQueen eine untergeordnete Rolle. Ihm geht es um eine Solidaritäts- und Emanzipationsgeschichte quer durch Klassen und Ethnien. Veronica ist eine reiche Afroamerikanerin. Ihr zur Seite stehen eine Latina namens Linda (Michelle Rodriguez), deren Kleiderladen dank der Spielschulden ihres verstorbenen Gatten die Schließung droht – und die polnischstämmige Alice (Elizabeth Debicki), die von ihrer Mutter bereits kurze Zeit nach dem Tod des Partners in die Prostitution gedrängt wird.

Weitläufiges Sozialpanorama

Langsam bemerkt diese weibliche Zweckgemeinschaft, dass sie ohne ihre Männer besser zurechtkommt als mit ihnen. Männlich sind dafür alle ihre Widersacher: Drogenbaron Jamal, der neuerdings Ombudsmann werden will, und sein Konkurrent Jack (Colin Farrell), der jüngste Vertreter einer altgedienten Politdynastie: Seine halbherzigen Versuche, einen progressiven Kurs zu fahren, scheitern am Rassismus seines Vaters (Robert Duvall).

Dies ist erst der Anfang des weitläufigen Sozialpanoramas, das McQueen zusammen mit Drehbuchautorin Gillian Flynn („Gone Girl“) vor dem Publikum ausbreitet. Alle Problemfelder der Vereinigten Staaten finden darin Platz. Der Film will aufzeigen, wie eine Ungleichheit die andere bedingt, wie überkommene Strukturen Veränderung verhindern. Die Feingliedrigkeit seines Erzählgeflechts beeindruckt durchaus, das Schauspiel über weite Strecken auch.

Besser als die Peinlichkeit „Ocean's 8“ ist „Widows“ allemal. Und es gibt keinen Grund, warum eine Räuberpistole mit Politsubtext nicht funktionieren sollte – ein etwas windschiefes, aber weit weniger bedeutungsschwangeres Hollywood-Beispiel aus diesem Jahr wäre der Thriller „Den of Thieves“. Doch McQueen ist dermaßen auf die stückweise Ausarbeitung seines Zeitkommentars fokussiert, dass selbiger jede Subtilität verliert und den Spannungsmotor stocken lässt. An einer Stelle wird ein schwarzer Jugendlicher schuldlos von nervösen Polizisten niedergeschossen, im Hintergrund prangen unübersehbar Obama-Poster: Plakativer geht's kaum. Das Problem ist freilich nicht, dass die Szene im Film ist. Nur, wie ungeschickt sie in sein Handlungsgewebe gestickt wurde: Auf diese Weise stiehlt sich „Widows“ die eigene Show.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2018)

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