Frankenstein und die Frauenrechte

Mary Shelley wird von Elle Fanning mit aufmüpfiger Energie verkörpert.
Mary Shelley wird von Elle Fanning mit aufmüpfiger Energie verkörpert.Polyfilm
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Haifaa Al-Mansours erste englischsprachige Arbeit wendet sich einer Ikone der fantastischen Literatur zu: „Mary Shelley“ schildert den Kampf der Autorin um Anerkennung.

Wie Mary Shelleys „Frankenstein“ in die Welt gekommen ist, wird oft und gern erzählt: In einem ungewöhnlich düsteren Sommer des Jahres 1816 kongregierte eine Gruppe künstlerisch ambitionierter Freigeister – darunter Lord Byron, Shelley und ihr Dichtergatte in spe Percy Bysshe – in der Villa Diodati am Genfersee. Da es draußen immerzu regnete, weilte die Runde meist in den von Kerzenschein erleuchteten Gemächern des Landguts und vertrieb sich die Zeit mit Laudanum und philosophischen Diskussionen. Inspiriert von der Lektüre deutscher Gespenstergeschichten schlug Byron vor, jeder der Anwesenden solle seine eigene Horrormär ersinnen. Infolgedessen steigerten sich die Gäste noch stärker in die unheimliche Atmosphäre des Versammlungsorts hinein. Bei Shelley beförderte das schließlich einen Alptraum, der den Keim für ihr Meisterwerk legte.

Die Popularität dieser Anekdote verwundert nicht: Sie passt perfekt zur schauerromantischen Aura „Frankensteins“, zu den Stimmungen, die man landläufig mit dem Genre der „Gothic Novel“ verbindet. Der britische Regie-Exzentriker Ken Russell hat mit „Gothic“ (1986) sogar einen ganzen, ausgesprochen vergnüglichen Film über sie gedreht. Bis zu einem gewissen Grad verstellt der Fokus auf das Treffen in Genf jedoch die Sicht auf Mary Shelley selbst: Ihre Großtat entsprang eben nicht nur den Eindrücken einer eigentümlichen Sommerfrische und der Anwandlung einer unruhigen Nacht, sondern einem nicht nur für damalige Verhältnisse bewegten Leben.

Selbiges rückt die Filmbiografie „Mary Shelley“ nun in den Vordergrund. Sie setzt an als Shelley noch Godwin heißt und sechzehn ist, ein aufgewecktes Kind berühmter Eltern: Die verstorbene Mutter Mary Wollstonecraft eine willensstarke Frauenrechtlerin, der Vater William Godwin ein Vordenker des Sozialismus. Ihre Ideen festigen das Selbstbewusstsein des Teenagermädchens, die von Elle Fanning mit aufmüpfiger Energie verkörpert wird – doch ihre Fantasie wird vor allem durch die Gefühlsstürme romantischer Literatur beflügelt. Klar, dass sie sich bei einem Aufenthalt in Schottland in den fünf Jahre älteren Dichter Percy Bysshe Shelley (Douglas Booth) verschaut: Ein wortgewandter Bad Boy, der auch als „Twilight“-Schmachtbolzen durchgehen würde.

Lord Byron als narzisstischer Bonvivant

Zusammen flüchten sie aus dem Regen in eine Kirche, trinken Messwein, küssen sich unter den Blicken einer Madonna. Statt die Romanze der beiden zu überhöhen, betont der Film die Jugend und Unbedarftheit der Liebenden. Schon hier merkt man, dass seine Perspektive von denen handelsüblicher Biopics abweicht. Regie führte Haifaa Al-Mansour, bekannt als Urheberin des allerersten abendfüllenden Spielfilms Saudiarabiens: In „Wadjda“ erzählte sie eindringlich aus dem Alltagsleben von Frauen in ihrer patriarchalen Heimat. Ihr Shelley-Porträt schildert den Werdegang der Protagonistin vornehmlich als Kampf um Selbstermächtigung – und künstlerische Anerkennung.

Und zwar auch von denen, die ihr am nächsten stehen. Denn Percy ist bei Weitem nicht der Traummann, den die frisch Verliebte anfangs in ihm sieht. Sein romantisches Ethos dient ihm auch als Vorwand für Rücksichtslosigkeit gegenüber Mary und ihrem ersten gemeinsamen Kind, das früh stirbt – eine Verlusterfahrung, die „Frankenstein“ stark beeinflusst. Später lobt Percy das Werk seiner Gattin – schlägt aber vor, das Monster zu einer Lichtgestalt mit Vorbildwirkung umzuschreiben. Verteufelt werden die Belletristenmänner rund um die Hauptfigur nicht, aber auch nicht als Genies verklärt. Sie wirken schlicht wie verwöhnte Talente mit Makeln. Auch der Künstlerkonvent in Genf, der freilich nicht fehlen darf, erscheint so in neuem Licht: Byron (Tom Sturridge) mutet wie ein narzisstischer Bonvivant an, der Marys Stiefschwester Claire (Bel Powley) herabwürdigt, sein leisetreterischer Leibarzt John Polidori (Ben Hardy) tut sich als eigentlicher Seelenverwandter Marys hervor.

Manches buchstabiert der Film zu deutlich aus, der Dialog und die Musik neigen zum Ausrufezeichen. Aber deutlich heißt nicht zwangsläufig plump oder oberflächlich – tatsächlich ist es Al-Mansour ganz gut gelungen, Mary Shelley in all ihrer Widersprüchlichkeit zum Leben zu erwecken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2018)

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