„Destroyer“: Diese Kommissarin ist total kaputt

Rabiat auf ungeschminkt geschminkt: Nicole Kidman wird für ihre jüngste Rolle frenetisch gefeiert.
Rabiat auf ungeschminkt geschminkt: Nicole Kidman wird für ihre jüngste Rolle frenetisch gefeiert.Filmladen
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Im düsteren Krimi „Destroyer“ tritt Nicole Kidman in die Fußstapfen abgewrackter Film-Noir-Schnüffler. Regisseurin Karyn Kusama erzählte der „Presse“, wie es dazu kam.

Gnadenlose Sonnenglut brennt durch die verdreckte Windschutzscheibe. Der Kommissar hat schon bessere Tage gesehen – er weiß bloß nicht mehr, wann das war. Zeit zum Aufstehen, die Arbeit ruft. Der bleischwere Körper in abgewetzter Lederjacke schleppt sich mühevoll zum Tatort. Eine Leiche liegt kopfüber im Kanal, Schusswunden im Rücken, Blut auf dem Boden. Im Nacken prangt eine seltsame Tätowierung. Die Kollegen sind ratlos. Und lästig. „Nimm dir mal 'ne Auszeit!“ Ein Stinkefinger zum Abschied – und tschüss.

Der Kommissar heißt Erin Bell und ist eine Kommissarin. Gespielt wird sie von Nicole Kidman, rabiat auf ungeschminkt geschminkt, wie einst Charlize Theron in „Monster“. Ikonische Ermittlerinnen gibt es im Kino nicht zu knapp. Doch nur selten begegnet man einer, die so kaputt daherkommt wie die Protagonistin von Karyn Kusamas LA-Krimi „Destroyer“. Die wirkt, als hätte man sie nach durchzechter Nacht vom Asphalt gekratzt. Die schimpft, trinkt und drauf pfeift, was andere denken.

Der Charme (un)gepflegter Verwahrlosung bleibt in diesem Genre meist Männern vorbehalten. Doch Kidmans Einflüsse waren geschlechtsneutral, verrät Kusama im Ferngespräch mit der „Presse“: „Gena Rowlands in ,Eine Frau unter Einfluss‘ haben sie ebenso inspiriert wie Al Pacino in ,Hundstage‘.“ Die Regisseurin selbst nennt „Taxi Driver“ und Jacques Audiards „Un prophète“ als Vorbilder: „Beide nutzen ihr Genre-Gerüst für intensive Charakterstudien.“

Was nützt schon Reue? Rohe Gewalt!

Ein wenig erinnert Bell wirklich an Travis Bickle aus „Taxi Driver“, wenn sie mit Wut im Bauch und von düsteren Klangwolken ummantelt durch Los Angeles cruist, seelische Altlasten hinter sich herziehend: Früher, als Undercoveragentin, war sie an einer fiesen Bankräuberbande dran. Hätte sie damals nur nicht . . . – doch was nützt schon Reue? Das Gewissen muss reingewaschen werden. Notfalls mit roher Gewalt.

Der Film schneidet assoziativ zwischen seinen beiden Zeitebenen hin und her, die Chronologie der Ereignisse bleibt im Unklaren. Ein fordernder Kniff, der schon im Drehbuch angelegt war. Dieses hat Kusama mit ihrem Gatten Phil Hay und dessen Schreibpartner Matt Manfredi entwickelt. Schon seit dem Sci-Fi-Spektakel „Æon Flux“ spinnt das Kreativtrio Geschichten. Bei „Destroyer“ ging es um das Motiv moralischer Verantwortung: Wie fühlt es sich an, nach tragischen Fehlern im Clinch mit persönlichen Prinzipien zu liegen? Wie rechtfertigt man Verfehlungen vor sich und seinen Nächsten – im Fall von Bell vor der aufmüpfigen Teenager-Tochter?

Kusuma drehte Filme mit spannenden Frauenfiguren lange, bevor es zum guten Hollywood-Ton gehörte. Das Drehbuch zu „Destroyer“ trug Nicole Kidman, der es in die Hände gefallen war, an sie heran. „Diese Direktheit hat mich sofort überzeugt. Nicole ist ein Superstar, aber sie folgt nur ihrer kreativen Intuition.“ Nervös machte der große Name nicht. „Indie-Filme sind immer eine komplizierte Angelegenheit – egal, mit wem man arbeitet. Es gibt nie genug Geld, genug Zeit. Die größte Herausforderung für Nicole war, dass sie in jeder Szene vorkommt. Es gab keine freien Tage. Bei einer dermaßen lädierten Figur ist das besonders hart.“

Seit der #MeToo-Debatte macht Hollywood verstärkt Anstalten, um Gleichstellung voranzutreiben. Ob das neue Klima der Umsetzung von „Destroyer“ zuträglich war? „Ein bisschen. Statt vier oder fünf Jahren dauerte es zwei oder drei, bis wir drehen konnten. Doch einen grundlegenden Umbruch spüre ich nicht. Was sich wirklich verändert hat, bin ich selbst. Die Ungleichheiten in der Filmindustrie waren mir schon immer bewusst, allerdings hinterfrage ich mittlerweile auch meine eigenen Vorurteile.“ Bei „Destroyer“ legte Kusama etwa großen Wert darauf, so viele Filmtechnikerinnen wie möglich anzuheuern – unter anderem für Schnitt, Kamera und Sounddesign. Und sie schämt sich nicht mehr für ihren Kunstwillen. „Früher neigte ich dazu, mich dafür zu entschuldigen – damit ist längst Schluss.“

Und was hat es mit dem Titel auf sich? „Er ist absichtlich rätselhaft, ein Rorschach-Test für den Zuschauer. Für manche ist Trauer der große ,Zerstörer‘ des Films, für andere Zeit oder Machtgier.“ Womöglich ist ja schlicht der gleichnamige Kinks-Song gemeint: „Self-destroyer, wreck your health / Destroy friends, destroy yourself.“

DIE REGISSEURIN

Karyn Kusama, 1968 in Brooklyn geboren, debütierte 2000 mit dem Boxerinnendrama „Girl Fight“, es folgten „Æon Flux“ (2005) und die feministische Horror-Satire „Jennifer's Body“ (2009), die nach anfänglicher Verkennung zum Kultfilm avancierte. Nach dem Sektenthriller „The Invitation“ (2015) läuft nun „Destroyer“ an: ab Freitag im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2019)

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